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2 Vervielfältigung und Verbreitung

2.1 Ein und dasselbe stets

Die Schrift wurde von Platon als eine Art Rede verstanden, die, wie es Kant ausdrückte, jemand »durch sichtbare Sprachzeichen an das Publikum hält«1). Platon, selbst ein ausgezeichneter Schriftsteller, achtete die Schrift im Vergleich zum Gespräch aber offenbar nicht hoch:

Denn dieses Schlimme hat doch die Schrift, Phaidros, und ist darin ganz eigentlich der Malerei ähnlich; denn auch diese stellt ihre Ausgeburten hin als lebend, wenn man sie aber etwas fragt, so schweigen sie gar ehrwürdig still. Ebenso auch die Schriften. Du könntest glauben, sie sprächen, als verständen sie etwas, fragst du sie aber lernbegierig über das Gesagte, so enthalten sie doch nur ein und dasselbe stets.2)

Der Gebrauch der Schrift als Mittel des Gedächtnisses erfunden, mache nicht weise, sondern nur eingebildet, scheinweise und sei schlecht für das Gedächtnis. Schriften selbst können nicht argumentieren oder Fragen beantworten. Eine Schrift bedarf zu ihrer Verteidigung der Hilfe des Autors, da sie sich selbst nicht schützen kann.3)

Platons Kritik an der Schrift gründete in der Ansicht, dass zum Verstehen der höheren Wahrheiten andere Voraussetzungen erfüllt sein müssten als die Kenntnis eines bloßen Monologs: Die vollständige geistige Erkenntnis käme nur Schritt für Schritt zustande.4) Da die Schriften keine Unterscheidung im Hinblick auf den Lesenden machen können, seien Missverständnisse nicht zu vermeiden. Deshalb sei »jeder ernste Mann, der kein Mietling der Wissenschaft ist, weit entfernt über ernste, hochwürdige Gegenstände seine Gedanken durch die Schrift unter der Menschheit zu veröffentlichen und dadurch sie der Schwatzsucht und Herabwürdigung des Pöbels preis zu geben.«5)

In Phaidros fragt Sokrates, ob ein verständiger Bauer seinen Samen in einen Adonisgarten, wo er nach acht Tagen schön in die Höhe geschossen sei (aber keine Früchte tragen kann), oder nach den Regeln des Landbaus in den gehörigen Boden, wo er nach acht Monaten Früchte trägt, säen würde? So verhalte es sich auch mit philosophischen Gedanken – um diese ging es Platon, nicht um profane Gebrauchstexte –, denn diese könnten im Gespräch erörtert werden und auf diese Art die Sprechenden sich gegenseitig befruchten. Eine Schrift hingegen habe kein Verständnis dafür, »zu wem sie reden soll, und zu wem nicht«.6)

Gedanken über ein dem Eigentum vergleichbaren Recht am Wissen waren Platon fremd. Im Siebten Brief beschwerte Platon sich über die Schriftsteller, die über seine Gedanken etwas verfassen, denn seine schriftlichen oder mündlichen Äußerungen sollten doch am besten von ihm stammen. Es schmerze ihn arg, dass seine Gedanken entstellt in die Welt hinausgeschrieben worden seien. Es ging ihm jedoch nur um die zutreffende Wiedergabe, nicht um eine Inhaberschaft der Gedanken.

<html> <figure class=„rahmen medialeft“> <a target=„_blank“ title=„By Shawn Lipowski (Shawnlipowski) (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 or CC BY 2.5], via Wikimedia Commons“ href=„https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ARoman_Venus_Copy_of_Praxiteles_Front.jpg“><img width=„512“ alt=„Roman Venus Copy of Praxiteles Front“ src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/bc/Roman_Venus_Copy_of_Praxiteles_Front.jpg/512px-Roman_Venus_Copy_of_Praxiteles_Front.jpg“/></a> <figcaption>Venus – römische Kopie der Aphrodite (Praxiteles)</figcaption> </figure> </html>

In dem Brief schildert er ferner, dass er auf Sizilien einen Vortrag bei Dionysios II. von Syrakus gehalten habe. Später habe Dionysios die von Platon gehörten Gedanken niedergeschrieben, als wenn es sein eigenes System gewesen wäre.7) Platon beschäftigte sich aber nicht weiter mit dem Plagiat in dem Sinne, dass ihm ein Unrecht getan oder ihm etwas genommen worden sei. Gegen die Vereinnahmung der von ihm vorgetragenen Gedanken unter Verleugnung seiner geistigen Urheberschaft wendete er sich nicht, auch wenn dieser Eindruck auf den ersten Blick entstehen kann. Wenn Dionysios seine Gedanken durch die Schrift als sein Eigentum ausgeben wolle, sei dies Prahlerei, so schreibt er zwar.8) Seine Kritik war aber nicht gegen das Übernehmen der Gedanken und Ideen gerichtet. In der Schrift trete vielmehr ein verachtenswürdiges Geltungsbedürfnis zutage, weil kein gesunder vernünftiger Grund existiere, überhaupt einen Text über die höchsten und wichtigsten Fragen des Universums zu veröffentlichen. Für die Schreiberei über solche Wahrheiten, völlig unabhängig, von wem die Gedanken stammen, gäbe es keine haltbaren Entschuldigungsgründe. Die höchsten und wichtigsten Fragen könne man nicht in einer Schrift festhalten, sondern nur im dialektischen Gespräch erörtern. Nicht das Behalten der eigenen Erkenntnisse, sondern die angemessene Methode zu deren Vermittlung und der Austausch waren ihm wichtig. Friedell bringt dies im lesenswerten Abschnitt über die Plagiatoren zum Ausdruck: »Sokrates hatte das seltene Glück, in Plato einen ganz skrupellosen Dieb zu finden, der sein Handwerk von Grund aus verstand: ohne Plato wäre er unbekannt.«9)

Abgeschrieben, kopiert und plagiiert wurde schon in der Zeit des antiken Griechenlands. Der Ruhm der Aphrodite des Praxiteles ließ die Skulptur zu einem der meistkopierten Werke der griechischen Kunst werden. Kopien der griechischen Skulpturen wurden spätestens ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. in der gesamten Antike en gros angefertigt, und schließlich haben die Originale, im Gegensatz zu den in verschiedene Regionen verstreuten Kopien, den Lauf der Zeit selten überstanden.10) Bei Texten standen und stehen die Historiker vor einem »Trümmerhaufen der uns erhaltenen Literatur«. Sie versuchen anhand von divergierenden Abschriften oder »unbewussten Nachahmungen […] rückwärts das verlorene Original« zu rekonstruieren.11) Selbst bei den in Stein gehauenen Statuen sind bis auf wenige Ausnahmen zumeist die römischen Arbeiten erhalten.12) Und bis heute kann die Frage, nach welchem Maßstab und welchen Kriterien die Unterscheidung zwischen einem Original und der Kopie eines Originals getroffen werden soll, wie exakt bewusste Kopien das Original überliefern oder ob der Eigenanteil die Kopie zum Original macht, als ungeklärt bezeichnet werden.13)

Name und Werk mussten in Griechenland wie bei den Römern natürlich übereinstimmen, das Werk vom Autor stammen, die Abschrift fehlerfrei sein. Bei Werken der bildenden Kunst lassen sich Signaturen als Zeichen der Individualisierung bis ca. 700 v. Chr. zurückverfolgen.14)

<html> <figure class=„rahmen mediaright“> <a title=„Wikimedia Commons“ href=„https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AAsklepios_Leutari_Chiaramonti_Inv2023.jpg“><img width=„512“ alt=„Asklepios Leutari Chiaramonti Inv2023“ src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/d/d1/Asklepios_Leutari_Chiaramonti_Inv2023.jpg/512px-Asklepios_Leutari_Chiaramonti_Inv2023.jpg“/></a> <figcaption>Asklepios: römische Kopie der gr. Statue aus dem 5. Jh v.Chr. (Vatikan)</figcaption> </figure> </html>

Hohes Ansehen genossen die bildenden Künstler in der römischen Antike jedoch nicht. Sie arbeiteten, das war bereits der erste Makel, in einer Zeit, in der die männliche Oberschicht regierte, befahl, Krieg führte, über Sklaven, Frauen und Kinder herrschte und in der Freizeit sich sportlich im Wettkampf bewies. Die Künstler arbeiteten körperlich, machten sich die Hände schmutzig – wie die Sklaven – und schließlich, sie nahmen ein Entgelt, mussten sich also ihren Lebensunterhalt mit unehrenhafter Arbeit verdienen. Der professionelle Künstler wurde vom Handwerker nicht unterschieden. Damit konnte kein Prestige gewonnen werden, weder bei der kriegerischen Führungsschicht der Griechen oder Römer, noch in der in etwa ab Augustus beginnenden Geldwirtschaft Roms, auch wenn in der späten Kaiserzeit das dilettierende Malen zu einer in den höchsten Schichten anzutreffenden Freizeitbeschäftigung wurde. Die artes liberales wurden als Lehre, nicht als Kunst verstanden.15) Die Dichter konnten ein höheres Ansehen erlangen, als Gast der Führungsschicht, nicht als minderwertiger Lohnabhängiger, dies aber nur, wenn sie kein Entgelt forderten, also aus Muße, für die eigene Ehre, bestenfalls für ein Honorarium oder einen Ehrensold eines reichen Gönners schrieben.16) Wenn die Urheberschaft zutreffend angegeben war, förderten Kopien oder weitere Abschriften das Ansehen des Autors, waren also vorteilhaft.

Der auch heute für die Übernahme von Ideen geläufige Begriff Plagiat (von lat. plagium, Seelendiebstahl, oder griech. plagios, unredlich) geht auf einen im 1. Jahrhundert n. Chr. lebenden Römer zurück: Fidentinus gab die Werke Martials als seine eigenen aus, woraufhin Martial ihn als »plagiarius« (Menschenräuber) oder »fur« (Dieb) beschimpfte.17) In der Literatur wird meistens und oft nur Martial zitiert. Dies zeigt mittelbar die geringe Bedeutung dieser Frage im klassischen Rom. Es war kein bedeutendes Thema, sondern mehr oder weniger eine persönliche Frage dieser einen Person. Jedoch wurde trotz des Begriffs Dieb, der nahelegt, dass es einen rechtmäßigen Inhaber gibt, in der Antike ein gesondertes Recht am Werk nicht anerkannt. Ein entsprechendes Recht war im römischen Recht unbekannt, obwohl die unkörperliche Sache (res incorporalis) in der juristischen Literatur des antiken Rom bereits verwendet wurde und das Abstraktionsprinzip ein gesondertes Eigentum daran möglich gemacht hätte.18)

Angesichts der Heerscharen von Juristen, die im 18. und 19. Jahrhundert Fundstellen zur Begründung des Nachdruckverbots in den römischen Quellen gesucht haben, kann man davon ausgehen, dass in dieser Zeit nicht einmal die Idee eines solchen Rechts ernsthaft diskutiert wurde. Ein Recht am Werk hatte der Autor nur im Hinblick auf das körperliche Handschrift, die schriftliche Fassung, in der das Werk festgehalten war.19) Eine einmal in der Öffentlichkeit gehaltene Rede oder verbreitete Schrift wurde zu einer frei nutzbaren öffentlichen Angelegenheit: »oratio publicata res publica est«20) bzw. »oratio publicata res libera est«21). Ein Recht, gegen Kopien vorzugehen, gab es nicht, auch wenn in Rom einzelne Bücher Auflagen von 1000 und mehr Exemplaren – handschriftlich nach Diktat von Sklaven angefertigte Kopien – erreichten. In Rom gab es bereits einen florierenden Handel bis in die Provinzen hinein mit Handschriften auf Papyrus und öffentliche Bibliotheken.22) Diese Kopien waren jedoch keine Plagiate im Sinne Martials, da bei Martial ein Dritter seinen Namen, nicht den des wahren Urhebers, auf die Schrift gesetzt hatte.

Die Authentizitätsfunktion des Urheberrechts stellt offenbar die älteste Verbindung zwischen dem Urheber und seinem Werk dar. Sie ist zu trennen von der vermögensrechtlichen Zuweisung.23) Die Gesellschaft zollt bestimmten geistigen Werken auf unterschiedliche Art eine Wertschätzung, etwa durch ein Lob in der Öffentlichkeit, die Einräumung eines bestimmten Amtes oder den Wunsch, Werke aus der Hand des Erschaffers zu besitzen. Diese Wertschätzung kann selbstverständlich für den Urheber von Bedeutung sein. Er hat ein Interesse daran, dass ihm diese nicht entzogen wird und das Werk in der von ihm autorisierten Form in der Öffentlichkeit erscheint. Die Authentizitätsfunktion soll dem Urheber die Entscheidung über folgende Fragen ermöglichen: Ob und unter welchen Bedingungen das Werk veröffentlicht und weitergegeben werden soll, ob sie in der Öffentlichkeit der Person des Urhebers zugeeignet wird, ob ein Dritter sich des Urheberschaft berühmen darf und inwieweit der Urheber berechtigt ist, die Übereinstimmung zwischen Original und Kopie zu fordern.

Solche Forderungen und die Missbilligung der Beeinträchtigung dieser Ansprüche lassen sich in der griechischen und römischen Antike, dann wieder markant in der italienische Renaissance oder beim sendungsbewussten Martin Luther ausmachen. Allerdings erwächst hieraus noch kein Urheberrecht oder geistiges Eigentum, selbst dann nicht, wenn erhebliche finanzielle Interessen hinzutreten, wenn also beispielsweise die italienischen Dichter und Maler fürstliche Honorare verlangen können und bezahlt bekommen.

Eckhard Höffner 2017/09/25 12:32

ZurückFortsetzung


1)
Kant S.~289.
2) , 6)
Platon S.~275.
3)
Platon S.~274f.
4)
Platon S.~342.
5)
Platon S.~344.
7)
Platon S.~341.
8)
Platon S.~344
9)
Friedell S.~52 (Bd. 1).
10)
Hauser S.~109.
11)
Stark S.~7.
12)
Furtwängler S.~1.
13)
Junker/Stähli S.~1 f..
14)
Hauser S.~74.
15)
May S.~262 f.
16)
Schickert S.~13–19; Wittmann S.~14; Bappert S.~13; Károly Visky, Geistiges Eigentum der Verfasser im antiken Rom. UFITA 106 (1987), 17–33.
17)
Renouard S.~16; Mumby S.~11; Harum S.~1; Gieseke S.~2 f.; de la Durantaye, Rn. 96.
18)
Renouard S.~16; Gierke S.~751; Schickert S.~103–105; de la Durantaye, Rn. 163 ff.; Drahos S.~18.
19)
Bappert S.~17. Gieseke S.~3; Klostermann S.~10; Boytha S.~70–75. Pohlmann S.~152, schildert den Streit zweier römischer Rechtsschulen, nämlich ob durch Malen oder Schreiben auf fremden Papier ein Recht hieran erworben werden könnte, der zu Gunsten des Papierinhabers entschieden wurde. Vgl. aus neuer Zeit zu einem ähnlichen Komplex: BGH, Urt. vom 24. 5. 2007, Az.: I ZR 42/04 (Mauerbilder).
20)
Gieseke S.~2.
21)
Quintus Aurelius Symmachus (345–410), zitiert nach de la Durantaye, Rn. 115; vgl. auch Pohlmann S.~153.
22)
Schickert S.~20–25, 32–42; Kapp S.~5, 8, 737, der 100 für einen Verleger tätige Schreibsklaven nennt. Gieseke S.~1, spricht nur davon, dass man innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Vervielfältigungsstücke anfertigen konnte.
23)
Vgl. etwa Peifer S.~55–61, m. w. Nachw.

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