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MONOKULTUR München

Exodus

In den letzten fünfundzwanzig Jahren hat ein gewaltiger Exodus von kreativen und künstlerisch produktiven Köpfen aus München stattgefunden. War die Stadt in den 1970- und 80ern Anziehungspunkt für Künstlerinnen, Popmusikerinnen, Literateninnen, Theatermacherinnen und Intellektuelle, die hier ein lebendiges Milieu vorfanden, kommen diese heute allenfalls noch, wenn der Partner oder die Partnerin einen lukrativen Job ergattert hat. Ansässige Münchner*innen, die auf künstlerischem Gebiet etwas erreichen wollen, sehen sich immer öfter gezwungen, die Stadt zu verlassen. Grund sind nicht nur die hohen Mietpreise und Lebenshaltungskosten oder der Mangel an Leerständen, die sich in Ateliers und Veranstaltungsräume verwandeln lassen. Eine mindestens ebenso große Rolle spielt das veränderte kulturelle Klima und das für Künstler immer problematischere Image der Stadt.

Traum und Wirklichkeit

Das allgemein verbreitete Münchenbild, vom offiziellen City-Marketing gern befördert, zeigt München als Fusion zwischen traditionalistisch idyllischem Bayerntum und Hightech: fortschrittsfreundlich, hedonistisch, performanceorientiert, erfolgreich, sauber, sicher… Dieses Bild (und die mit ihm assoziierte „Münchner Lebensqualität“) mag die Stadt für Investoren und Unternehmen attraktiv machen, für Kunst und Off-Szenen erzeugt es nicht zu unterschätzende Kollateralschäden. Indem es sich über jedes andere Bildangebot legt, das sonst noch in München seinen Ursprung haben könnte, beraubt es hier entstandene Kunst und gegenkulturelle Äußerungen ihrer Glaubwürdigkeit. In München zu leben und zu arbeiten erweist sich für Künstler*innen als Standortnachteil.

<html> <p class=„betont-ausschnitt“> Die Herrschaft der Zirkulationssphäre über die Produktionssphäre - ALLES PLATT </p> </html>

Die Kulturpolitik bekundet – wenigstens was den Braindrain durch die Künstler-Abwanderung angeht – inzwischen ein Problembewusstsein. Die ergriffenen Maßnahmen gehen jedoch am Ziel vorbei. Ob beim Freien Theater, in der Bildenden Kunst, in der Clubkultur: Wildwuchs wird nach wie vor trockengelegt oder stadtplanerischem Kalkül geopfert. Statt mit einer entschiedenen und breiten Subventionierung von Räumen dem Preisdruck im Immobilienbereich entgegenzuwirken, zentralisiert die Stadt die Ressourcen und übt bürokratische Kontrolle aus. Vorstöße von Selbstorganisation und Eigeninitiative werden den Betreffenden aus der Hand genommen und ihrer Lebendigkeit und Originalität beraubt. Im Freien Theater z. B. wurden gewachsene Strukturen durch Top-Down-Modelle ersetzt, über die Jahre erkämpfte Freiräume oder Mitspracherechte (wie die Wahl der eigenen Förderjury durch die Szene) abgeschafft, das Stellen von Förderanträgen durch Überbürokratisierung erschwert. „Dem Künstler wird ein Bild seiner eigenen künstlerischen Arbeit aufgezwungen, das mit dem künstlerischen Prozess rein gar nichts zu tun hat, ihn im eigentlichen Sinne sogar verhindert.“ (Alexeij Sagerer)

Das Diktat des Ökonomischen: Musengruft München

Besonders deutlich wird dies, wenn Verwaltung gestaltet, sprich Behörden als Kurator oder Produzent auftreten und versuchen, Kunst im Rahmen des städtischen City-Marketing-Konzepts zu instrumentalisieren. Ziel ist es, die Szene auf einige wenige Figuren zu reduzieren, die sich in den Augen der Kulturverwaltung als Leuchtturmkünstler („Munich Heroes“) oder Imagetool eignen, die Stadt nach außen zu repräsentieren. Es kommt zu einer Einflussnahme auf künstlerische Inhalte durch thematische Einengung (Inklusion, Migration …). <html> <p class=„betont-ausschnitt“>BBB: Dass die vom Kulturreferat beklagte Gemütlichkeit der Szene durch die Förderprozesse des Kulturreferats weitgehend hausgemacht ist, wird übersehen</p> </html> Die Kunst wird zum verlängerten Arm der Sozialpädagogik, der Künstler zum städtischen Dienstleister. Die Ergebnisse dieser planwirtschaftlich anmutenden Lenkung werden dann nach neoliberalen Kosten-Nutzen-Kriterien evaluiert. Es geht nicht mehr um die Förderung einer „freien Kunst“, sondern um ihre Indienstnahme und um Spekulationen auf ihre Verwertbarkeit. Beim Theater setzt man dabei verstärkt auf die Abgänger von Theaterschulen, die die Freie Szene nicht als eigenständigen Produktionsraum sehen, sondern als Durchgangsstation auf ihrem Weg in die Stadt- und Staatstheater. Das verspricht akademisch geprüfte Qualität und eine hochkulturelle Perspektive. Da die Gesamtfördersummen im Theaterbereich im Wesentlichen die gleichen geblieben sind, verlieren alternativ arbeitende Künstler ihre Arbeitsmöglichkeit, werden verdiente künstlerische Biografien durch den Entzug der Förderung abgewürgt. Der „Kunstfehler“ dieser Subventionspolitik besteht in der Hervorbringung einer Klasse „mittlerer Angestellter des originellen Einfalls“ (Th. Steinfeld), die im besten Einvernehmen mit Verwaltungsbeamten marktkonforme Events produzieren. Eine lebendige Szene lässt sich so allenfalls simulieren. Es herrschen Unmut und Beklemmung. „Menschen, die großartige Dinge leisten, gehen geknickt durch diese Stadt“ (Musikproduzent S. Schnitzenbaumer).

Brav, banal und beflissen

Auch die mit großem Verwaltungseifer etablierten „nachhaltigen Begleitstrukturen“ oder Hilfen zur Selbstvermarktung (Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft), mit denen man die Szene optimieren will, werden von vielen Künstlern als entmündigend und demütigend empfunden. Den Künstlern Münchens wird unterstellt, sie seien von der internationalen Entwicklung abgeschnitten und bedürften der Nachhilfe, wobei die Definition dessen, was Kunst ist, den Kulturbehörden obliegt. Dass die vom Kulturreferat beklagte Gemütlichkeit der Szene durch die genannten Förderprozesse weitgehend hausgemacht ist, wird dabei übersehen. Beim behördlichen Kunstverständnis fällt eine Zweiteilung auf: Auf der einen Seite die Verwechslung von Kunst und Kreativwirtschaft, an die beide der gleiche Effizienzmaßstab anlegt wird, ohne die Verschiedenheit der Lebens- und Arbeitsverhältnisse des Angestellten einer Werbeagentur und eines freien Künstlers mit den jeweils grundsätzlich verschiedenen Vorgehensweisen, Prioritäten, Motiven und Risiken zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite der Import von „Stardirigenten“, Museumsdirektoren und Festivalkuratoren, mit denen man die befürchtete Provinzialität öffentlichkeitswirksam zu bekämpfen hofft. Ergebnis dieser Politik ist eine Monokultur mit EU-Polish, der kulturelle Diversität und Vielfalt sowie der qualitative Bestand zum Opfer fallen. „Man kann mit Kultur Politik machen, aber nicht mit Politik Kultur.“ (Avi Primor)

Subkulturen gehören zu einer Metropole wie die Untergrundbahn. Ein vielfältiges kulturelles Leben jenseits der Offizialkultur macht eine Stadt zur Großstadt. Auch das Recht auf eine freie Kunst ist ein Bürgerrecht wie das Recht auf sauberes Wasser. Behördenmitarbeiter besitzen selten eine Vorstellung, was der Verlust von Milieus bedeutet, zu denen ihnen eine genuine Verbindung fehlt und deren rhizomatische Funktionsweise ihnen fremd ist. Indem München marktabgewandten Daseinsentwürfen und unangepasstendes Kulturreferats Biografien den Lebensraum entzieht, beraubt es sich nicht nur seiner jüngeren kulturellen Geschichte, sondern auch des gesellschaftlichen Transformationswissens, wie es seit jeher in Subkulturen und künstlerischen Nischen erprobt und gelebt wird. Kunst ist dabei immer mehr als Kunst: Sie ist Indikator und Lackmustest für persönliche Freiheit, die wir haben oder eben nicht.

Monokultur München liefert ein Stimmungsbild, startet einen Diskurs und ruft auf zur Aktion.12)

Nothing about us without us!

  • In welcher Stadt wollen wir leben? Was für soziale und kulturelle Biotope wollen wir vorfinden oder von ihrer Existenz überrascht werden? Welches Maß an Eigen-Sinn und Widerständigkeit braucht eine Stadtgesellschaft?
  • Was ist mit Münchens anarchischer Tradition? Wieso stört sich kaum jemand am immer schlechter werdenden Ruf Münchens als Stadt des Geldes und der Schmerzbefreiten?
  • Wie steht es um Münchens Geschichte als Kunststadt? Welche politischen Lenkungsmaßnahmen haben die Szenen um die Jahrhundertwende oder in den 1970- und 80ern entstehen lassen? Welche Bedingungen, Prozesse und Schutzräume braucht Kunst? Wieso gibt es bis jetzt keinen Widerstand gegen die „Enteignung der Kunst“ (Metz und Seeßlen), auch nicht von Seiten der Künstler*innen selbst? Warum nehmen so viele die ihnen zugewiesene Rolle an? Welche Interventionen und konkreten Aktionen sind möglich?
  • Aus welchem Grund wird in München entstandene Kunst in München geringgeschätzt, die andernorts Erfolge feiert? Wenn die „Enteignung der Kunst“ ein globales Phänomen ist, wird sie in München besonders rigoros vollzogen? Ist München paradigmatisch für eine allgemeine Entwicklung? Sind Menschen, die sich im genannten Sinn als Künstler verstehen, eine aussterbende Art?
  • In welchen Sachzwängen und Dilemmata stecken die Kulturbehörden selbst, welchen Stadtentwicklungsdiskursen, Management-Doktrinen und Effizienzrichtlinien unterliegen sie? Warum werden diese nicht offen kommuniziert?
  • Wie viel Marktunabhängigkeit muss sich die Kunst erhalten? Was vermag sie als eine der letzten Bastionen jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik einer Gesellschaft zu geben? Warum sind Künstler als „Produzenten immateriellen Wohlstands“ (Michael Hirsch) nach wie vor von gesellschaftlichen Entscheidungsfindungen ausgeschlossen? Was kann Kunst, was nur Kunst kann? Warum wird sie gerade jetzt dringend gebraucht?

Matthias Hirth


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Alle Folgen der 1. Staffel zum Nachlesen, -schauen und -hören: 1 2 3 4 5 6 7 8

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