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2 Vervielfältigung und Verbreitung

2.4 Die »ärgerlichen« Schriften

2.4.1 Überblick zur Zensur

»Lange vor der Erfindung der Druckerey, schon gleich nachdem die Verfolgungen der Christen aufgehört hatten, haben Fürsten oft Bücher verbothen und unterdrückt.« Das Konzil von Nicäa verdammte die Lehren der Arianer, und Kaiser Konstantin I. verbot die Bücher des Arius, »verurtheilte sie zum Feuer, und drohete denen Strafen, welche sie verheimlichten oder zurückhalten würden.«1) Schillers Marquis de Posa in den Mund gelegte »Gedankenfreiheit« zielte in erster Linie auf die Zensur, brachte aber auch die Idee zum Ausdruck: Wer den Inhalt der Schriften kontrolliert, beherrscht die Gedanken.

<html> <figure class=„rahmen mediaright“><img src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/69/Christlicher-Adel-de.jpg“ alt=„Christilicher Adel– Luther“ width=„400px“><figcaption class=„caption-text“>Verbotener Bestseller Luthers (1520)</figcaption></figure> </html>

Für viele Fürsten und die Kirche war der erste und als dringend empfundene Anlasse für hoheitliche Maßnahmen nicht der Nachdruck, sondern der Inhalt der Druckschriften, deren Autoren wie z. B. Luther oder Ulrich van Hutten mit der Reichsacht2) bedacht wurden. Auch im Mittelalter wurden die Schriften z. B. an den Universitäten von einem Gremium überprüft. Aber mit der Verbreitung des Buchdrucks genügte das nachträgliche Verbot einzelner Schriften nicht mehr den Vorstellungen der Herrschenden, so dass bereits der Druck und der Vertrieb der Inhaltskontrolle und Bücheraufsicht unterworfen wurde.

Die Beschränkung der allgemeinen Druckfreiheit verfolgte also nicht das Ziel der Förderung der Interessen der Autoren oder Verleger, sondern hatte vorrangig die Kontrolle über den Inhalt der verbreiteten Texte im Auge. Gegenstand der Reichspreßverordnungen aus dem sechzehnten Jahrhundert war regelmäßig das Verbot der Schmähschriften3) Buchdruck und auch der Buchhandel (fester, fliegender oder auf Märkten) wurden in Deutschland von Kaiser und den Fürsten auch und vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Zensur abgehandelt. Spätestens mit der Reformation war die Gefährlichkeit der Schrift erkannt worden.4) Da die monarchischen Herrscher seit Karl dem Großen ihre Macht auf Gott zurückführten, konnten sie unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung unterschiedliche Glaubensrichtungen nicht akzeptieren, denn damit wurde zugleich der eigene Führungsanspruch von Gottes Gnaden in Frage gestellt.5)

Zu dem Entstehen der Auseinandersetzungen trugen die oft hetzerisch formulierten Schriften natürlich maßgeblich bei, auch wenn sie oft nur eine Reaktion auf die tatsächlichen Missstände waren. Und so wie Reformation und Gegenreformation sich im Kampf6) auch der Schriften bedienten, so kam auch die Zensur, die Teil der Verrechtlichung und Disziplinierung des Buchmarkts war:

  • 1521 wurde mit einem kaiserlichen Edikt Karl V. vom 8. Mai7) die Vorzensur angeordnet und im Laufe der nächsten Jahre konkretisiert.8)
  • Venedig schrieb 1526 vor, dass jedes Buch vom Rat der Zehn vor Druck zensiert werden musste, um die Imprimatur, also die Druckerlaubnis, zu erlangen.9)
  • In Frankreich wurde die Zensur von der Kirche, den Universitäten und dem obersten Gerichtshof ausgeübt, bis Ende des 17. Jahrhunderts der König das Zensurrecht an sich zog.10) 1551 wurde mit dem Edit de Châteaubriant die namentliche Nennung des Autors in den Büchern vorgeschrieben.11)
  • Nachdem der englische König sich 1534 vom Papst abgekehrt hatte, ordnete 1538 Heinrich VIII. die Vorzensur für alle neuen Bücher an. Zugleich wurde auch der Import von Büchern untersagt.12)
  • Der 1559 erlassene und regelmäßig aktualisierte päpstliche Index librorum prohibitorum13) wurde in den katholischen Gebieten die Grundlage für die Indizierung und Inhaltskontrolle.14) Im 18. Jahrhundert wurde der Index zeitweilig selbst auf den Index gesetzt, weil er als Informationsquelle über interessante Schriften diente. Die letzte Ausgabe erschien 1948 und wurde bis 1962 ergänzt.

Es wurde nicht nur die Vorzensur angeordnet, sondern auch Maßnahmen, um die praktische Durchführung der Zensur zu erleichtern. In Frankreich wurde beispielsweise 1536/37 (Edikt von Montpellier) die Ablieferung eines Pflichtexemplars an die Königliche Bibliothek vorgeschrieben. Nach Art. CVIII des französischen Code de la Librairie (1723) waren acht Pflichtexemplare abzuliefern. In England war die Ablieferung von Pflichtexemplaren Gegenstand des Licensing Act 1662.15) Bei den Pflichtexemplaren war die Motivation jedoch nicht eindeutig. Es ging in manchen Fällen auch darum, Bibliotheken mit günstigen Exemplaren zu versorgen. Pflichtexemplare mussten zudem im Zusammenhang mit der Privilegierung abgegeben werden, die teilweise mit der Zensur verknüpft war.

Im Reichstagsabschied 1570 wurde unter anderem bestimmt, dass Buchdruckereien nur noch in der Nähe der Obrigkeit errichtete werden durften: »[…] an keinen andere Örter, denn in denen Städten, da Churfürsten und Fürsten ihr gewöhnliche Hoffhaltung haben, oder da Universatores studiorum gehalten, oder in ansehnlichen Reichsstädten verstattet, aber sonsten alle Winkel-Druckereyen stracks abgeschafft werden sollen« (§ 155). Druckpressen im Verborgenen aufzustellen, war praktisch überall verboten. Außerdem mussten alle Buchdrucker zugelassen werden, bevor sie ihrem Geschäft nachgehen durften (§ 156).16)

2.4.2 Keine homogene Entwicklung

Der Verlauf und die unterschiedliche Ausprägung der Kontrolle und partiellen Unterdrückung der Druckerzeugnisse war fließend. Eine einheitliche Linie lässt sich nur über Jahrhunderte ausmachen, da Aufhebung, Wiedereinführung oder Verschärfung manchmal in kurzen Zeitabständen aufeinander folgten. Markante Einschnitte zeichnen sich seit der Zeit der Reformation bis zur französischen Revolution ab, und es lassen sich Brüche national oder regional, jedoch nicht allgemein feststellen.

In den katholisch dominierten Regionen Europas traf die Verbreitung der Schriften auf die größeren Schwierigkeiten. In den italienischen Stadtstaaten und Handelsrepubliken, den fortschrittlichsten Regionen des ausgehenden Mittelalters und Zentren des damaligen Handels, verbreitete sich das Druckwesen am schnellsten, mit nahezu 200 Druckerpressen im damaligen Wirtschaftszentrum Venedig, 60 in Mailand, 43 in Bologna und weiteren, beachtlich hohen Zahlen in Rom, Florenz, Pavia, Neapel oder Padua noch vor 1500. Mit dem Reformationszeitalter erlitt das Verlagswesen jedoch durch kirchliche und politische Maßnahmen einen so gewaltigen Rückschlag, dass von einem Buchhandel kaum noch die Rede sein konnte. Das, was vorhanden war, unterlag einer derartig strengen Kontrolle, dass die Verlagstätigkeit nahezu zum Erliegen kam.17) Der von der Inquisition erzwungene Widerruf Galileis oder die Verbrennung von Giordano Bruno (seine Schriften standen bis 1966 auf dem päpstlichen Index) 1600 auf dem Campo de’ Fiori waren Mahnmale mit einer über lange Zeit abschreckenden Wirkung auf die Publizistik der Wissenschaften. Größere und der Beachtung werte Werke konnten nur auf Privatkosten oder durch Unterstützung reicher Gönner hergestellt werden, da die Zensur den Verkauf höherer Auflagen begrenzte oder vollständig untersagte. Man kann die katholische Kirche aber nicht als wissenschaftsfeindlich darstellen. Unter den Jesuiten etwa gab es ausgezeichnete Wissenschaftler, aber eben auch ein eigenes vollständiges Weltbild, an dem zu rütteln lebensgefährlich werden konnte.

In Spanien, wo noch vor 1500 die Heiden, Juden und Mauren mit den volksfestartig veranstalteten Autodafés massenweise gejagt und vertrieben wurden, die Inquisition ihre Vollendung gefunden und mit Hilfe der geistlichen Armee, den Jesuiten, die Gegenreformation ihre stärkste Stütze hatte, war die Zensur obligatorisch. Spanien verarmte im 17. Jahrhundert, staatliche Schulen gab es nicht, und der Adel bekam das Wenige zu lesen, was die fanatische Zensur zuließ. Auch in Portugal wurde von der Kirche und der Politik die Literatur rücksichtslos niedergehalten, so dass der Buchhandel trotz hoher Einnahmen Portugals aus dem Fernhandel und den südamerikanischen Kolonien sich schlecht entwickelte.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts änderte sich aufgrund der aufkeimenden Aufklärung die Tendenz der Zensur, da nicht nur unchristliche (das waren jeweils die Schriften der anderen Konfession), sondern auch aufrührerische Schriften verboten wurden. Zur »Erhaltung von Friede, Ruhe und Einigkeit im Reiche«, wie es im Edikt Karl VI.Karls VI. vom 18. Juli 1715 hieß, wurde nunmehr auch die Verbreitung der »gegen die Staatsregierung und Grundgesetze des heiligen röm. Reichs Gesetze und Ordnungen anzapfende verkehrte neuerliche Lehren, Bücher, Theses und Disputationes« untersagt, da »dadurch viele so ohnzulässige, als tief schädliche Neuerungen gegen die teutschen Grundfeste, folglich Unordnungen in dem teutschen Reich eingeführet werden.«18)

1742 stellte David Hume fest, dass Großbritannien allein das besondere Privileg einer außergewöhnlich freien Presse genoss, die offene Kritik an den Maßnahmen des Königs oder seinen Ministern erlaubte (»of communicating whatever we please to the public, and of openly censuring every measure, entered into by the king or his ministers«). Die Vorzensur wurde 1694 in England, 1766 in Schweden (verbunden mit einer Regelung zur Meinungsfreiheit; jedoch Wiedereinführung der Zensur 1772), 1770 in Dänemark (Wiedereinführung 1773), 1789 in Frankreich (Aufhebung der Pressefreiheit unter Napoléon 1800 und 181019) und 1848 in Deutschland aufgehoben. Allerdings galt dies nicht allgemein. So wurde etwa in den kleinen deutschen Ländern die Zensur eher nachlässig gehandhabt und war in einigen Herzogtümern, Holstein, Braunschweig, Sachsen-Weimar, Sachsen-Gotha, schon im 18. Jahrhundert aufgehoben.20)

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts lockerte sich die Zensur in den einen, verschärfte sich in den anderen Staaten. Es war die Zeit des Umbruchs: Mit dem revolutionären volonté générale Rousseaus wurden die Menschen zu Staatsbürgern, die französische Revolution hatte die Fesseln des Absolutismus gesprengt, Kant die des Denkens. In Frankreich wurde in Art. 11 der Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen (1789)21) und in den Vereinigten Staaten im 1. Zusatzartikel zur Verfassung (1789, in Kraft 1791) die Rede- und Pressefreiheit verankert. Zugleich verschärften im Heiligen Römischen Reich, in England, Russland, Italien oder etwa den skandinavischen Ländern die Regierenden die Zensur.22)

Bekannte strenge Zensurmaßnahmen in Deutschland waren das Wöllnersche Edikt (Preußen 1788), die in allen Staaten strengere Zensur nach der französischen Revolution und unter der französischen Besatzung sowie die Karlsbader Beschlüsse. Nach den zuletzt genannten, 1819 verabschiedeten Beschlüssen (1824 wurde die Laufzeitbeschränkung von fünf Jahren aufgehoben, so dass sie weiter galten) wurden Burschenschaften verboten, konnten unliebsame Staatsdiener (vorrangig Professoren) entlassen werden, und die weit verbreiteten Zeitungen und Flugblätter – alles unter 21 Bogen – mussten eine Vorzensur durchlaufen.

2.4.3 Deutscher Buchhandel

Vor 1848 war keine einheitliche Handhabung der Zensur in Deutschland erkennbar. Deutschlands allgemeine politische Entwicklung war maßgeblich davon geprägt, dass die Krone nicht erblich war. Der König wurde von den Kurfürsten gewählt und bis zur Reformation vom Papst zum Kaiser gekrönt. Es gab keine nationale Verwaltung, keine Hauptstadt und kein Machtzentrum für das Reich.23) Die politische Macht vor Ort und die Verwaltung des Staates lag in den Händen der Territorialherren, die sich über Jahrhunderte ihre Dienste gegenüber dem Kaiser gegen einen Zugewinn an Edelmetallen, Macht und Befugnissen hatten abkaufen lassen. Nur die regionalen Obrigkeiten hatten die Mittel, die Politik des Kaisers durchzusetzen. Jedoch verfolgten sie ihre eigenen Ziele.

Eine zentral organisierte Zensurbehörde gab es nicht, genausowenig einheitliche Kriterien. In der Reichspolizeiordnung 1577 konnte zwar festgelegt werden, dass etwa Winkeldruckereien verboten und Druckschriften zu zensieren waren, jedoch lag die Zuständigkeit bei den einzelnen Reichsgliedern mit unterschiedlichen Konfessionen, die zumeist linientreu entschieden. Die kaiserlichen Zensurregelungen in den Reichspolizeiordnungen (RPO) 1548 und der aus dem Jahr 1577, die bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs im Jahr 1806 in Kraft blieb,24) spiegeln die Zuständigkeit der deutschen Territorialhoheiten wider. »Obrigkeit« war ein weiter Begriff: Als zuständige Instanzen für die Ausübung der Zensur wurden genannt: »jede Obrigkeit bei ihren Druckereyen« (18. 4. 1524), »soll zuvor von jeder Obrigkeit durch dazu verordnete verständige Personen besichtiget« (22. 4. 1529) oder »ein jeder Churfürst, Fürst und Stand des Reichs Geistlich und Weltlich« (19. 11. 1530).25)

Nach der Reichspolizeiordnung RPO 1548 und der reformierten und gebesserten Polizeiordnung vom 9. November 1577 bestand für jeden Reichsstand die Pflicht zur Vorzensur für die im jeweiligen Hoheitsgebiet erscheinenden Werke. Nach den RPO 1548 (34 1) und 1577 (Titel 35 2) musste der Druck aller Bücher, gleich ob groß oder klein und wie immer sie bezeichnet sein sollten, von der örtlich zuständige Behörde zugelassen werden. Es mussten die für die Schrift verantwortlichen Personen, also der Autor des Buchs sowie der Drucker, und der Druckort angeben werden. Die Bücher wurden am Ort ihres Erscheinens zensiert.26)

Die regelmäßig wiederholten Verbote der Schmähschriften zeigen einerseits den Willen, andererseits aber auch die begrenzte Wirksamkeit der Regelungen. Die RPO 1577 fasste die früheren Abschiede zusammen und hielt in Titel 35 (1. Absatz) nahezu wortgleich mit 34 1 RPO 1548 fest, »daß ob denselben Satzungen gar nichts gehalten, sondern daß solche schmähliche Bücher, Schrifften, Gemälds und Gemächts, je länger je mehr gedicht, gedruckt, gemacht, feyl gehabt und ausgebreitete werden.«27)

Mit der RPO 1577 kam aber ein weiteres Moment hinzu: Gingen die Landesherren nicht scharf genug gegen die Verbreiter verbotener Schriften vor, waren die kaiserlichen Organe selbst berechtigt, die Bücher zu konfiszieren und den Täter zu bestrafen.28) Während nach 34 3 RPO 1548 nur »unser Keyserlicher Fiscal«, ein am Reichskammergericht tätiger Beamter, gegen säumige Obrigkeiten, Dichter, Drucker und Buchhändler vorgehen und »auff gebührlich straff procedieren« konnte, sah Titel 35 4 RPO 1577 vor, dass nunmehr der Kaiser selbst wider dieselbigen, also Dichter, Drucker, Buchführer, -händler und Verkäufer »ernstlich straff fürnemmen« konnte.

Manche Staaten, wie die Rheinpfalz, übten in der Praxis keine wirksame Zensur aus, andere verabschiedeten ebenso rigoros antipäpstliche, wie die Habsburger antiprotestantische Entscheidungen.29) Es wäre in Zeiten der Glaubenskriege auch merkwürdig, wenn die Meinung der protestantischen Zensurbehörden in Kursachsen für das katholische Wien von Bedeutung gewesen wäre.

Um 1780 war die Zensur in einigen deutschen Herzogtümern aufgehoben.30) So variierte die Zensur von Land zu Land und von Herrscher zu Herrscher, wie sich an den herausragendsten Vertretern des aufgeklärten Absolutismus im Reich, Friedrich II. und Joseph II. zeigt: Was in Preußen bis 1786 unter Friedrich dem Großen erlaubt war, wurde 1788 unter seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm II. verboten oder behindert. Was unter Maria Theresia verboten war, wurde teilweise ab 1781 von Joseph II. erlaubt.31) Unter Joseph II. wurde durch diverse Dekrete vom 24. und 26. Februar, 1., 13., und 14. April 1787 für Wien die Vorzensur aufgehoben, und da jeder Österreicher in Wien drucken lassen konnte, wirkte dies für die gesamte erbländische Monarchie.

<html> <figure class=„rahmen medialeft“> </html> <html> <figcaption class=„caption-text“>Der Katalog von 1770 umfasste nur einige Seiten.</figcaption></figure> </html>

In Österreich oder in Bayern nahm die Zensur teils auch drastische Ausmaße an. Während beispielsweise Kant in Preußen nur gerügt wurde,32) hatte Bayern sich nach der französischen Revolution die religiöse und politische Volksverdummung auf die Fahnen geschrieben: »Die Kataloge verfolgen alles, was Fortschritt, Freiheit, Aufklärung heißt; auf staatlichem, bürgerlichem, geschichtlichem, kirchlichem, religiösem, philosophischem, sittlichem, kurz jedem Gebiete.«33) In dem Katalog der verbotenen Schriften stand alles, was die nicht-katholische Religion oder etwa Frankreich zum Gegenstand hatte, als da wären neben den sowieso im Index Librorum Prohibitorum verzeichneten Büchern: zahllose Berichte zur französischen oder amerikanischen Revolution, Staatslehrbücher, Bücher zur Moral oder Logik, alles von Kant, alles von Erasmus von Rotterdam, alles von Friedrich dem Großen, alles von Kotzebue, alles von Kleist34), alles von Knigge, alles von Abbé Sieyes, alles von Lessing und Werke von Schelling, Herder, Platon, Fichte, Schiller, Wieland, die Berliner Monatsschrift, die Allgemeine Deutsche Bibliothek35), bis hin zu Homers Ilias und Goethes Leiden des jungen Werther. 1797 war in Bayern alles verboten, was zum eigenständigen Denken anregte.36) 1799 – mit dem neuen Kurfürsten Maximilian IV. Joseph – trat dann wieder eine gewisse Lockerung ein.

Als Folge des komplementären Reichsstaats und der Koexistenz der Konfessionen in den unterschiedlichen Regionen war Deutschland seit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) jedenfalls im Vergleich zu den Nachbarstaaten frei, so dass die Zensur sich auf den gesamten Buchhandel nur begrenzt nachteilig auswirkte. Die Freiheiten dürften sogar bis zum Dreißigjährigen Krieg ausländische Händler nach Deutschland gezogen haben. Ab dann waren es eher die freieren und wohlhabenderen Niederlande, wo Autoren wie Grotius, Spinoza oder Hobbes veröffentlichten.

Für den Buchmarkt war die Vorzensur unter Umständen nur eine Erschwernis: Wenn der Großteil der Bücher nur vorgelegt werden musste, schnell geprüft wurde und dann erscheinen durfte. Wenn jedoch im innerdeutschen Buchhandel jedes Buch an der Grenze kontrolliert wurde, und das mit langsamer Gründlichkeit (wie zeitweise in Bayern oder Österreich), so dass die Bücher auf anderen Wegen die potentielle Kundschaft bereits erreicht hatten, bedrohte die Zensur die wirtschaftliche Existenz der Buchhändler.37)

2.4.4 Zensur und Privilegien

Wurde eine kritische Schrift verboten oder von der Zensur nicht freigegeben, kam die hoheitliche Gewährung eines wirtschaftlichen Vorteils in Form eines Privilegs erst recht nicht in Betracht. Welchen Sinn sollte das Privileg für eine nicht vermarktbare Ware haben? So war in Frankreich die Erteilung eines Ausschließlichkeitsrechts unter anderem davon abhängig, ob die theologische, moralische und politische Unbedenklichkeit des Werks festgestellt wurde. Privilegiert wurden nur zensierte Werke. In England und Frankreich waren die entsprechenden Regelungen unmittelbar miteinander verknüpft.

Auch in Deutschland soll die Privilegienvergabe von der Zustimmung der Zensurbehörde abhängig gewesen sein.38) Allerdings ist dies in dieser Allgemeinheit nicht richtig, oft sogar falsch, da die Zuständigkeiten der einzelnen Reichsglieder nicht beachtet werden. Für die Zensur war in aller Regel eine andere Territorialhoheit zuständig als für die Erteilung des Privilegs. Die in Nürnberg erscheinenden Bücher wurden beispielsweise von der Stadt Nürnberg zensiert, das Privileg erteilte aber der Kaiser oder eine andere Territorialhoheit. Freie Städte, also dort, wo die meisten Drucker saßen, erteilten keine Privilegien. So konnten Bücher aus Gründen der Zensur konfisziert und die Beteiligten bestraft werden, obwohl sie kaiserlich oder landesherrlich privilegiert waren.39)

Für kaiserliche Privilegien im Deutschen Reich wurde die Durchführung der Vorzensur erst ab 1765 stringent kontrolliert.40) Zuvor wurden in Wien vom Reichshofrat Privilegien auch auf bloßen Antrag hin erteilt, verbunden mit einer Versicherung, dass es sich nicht um ein verbotenes Werk handele. Der Jesuitenorden hingegen – die aus katholischer Sicht vertrauenswürdige Quelle von Druckwerken – erhielt vom Kaiser ein Generalprivileg.41) Joseph II. wurde 1776 in einem Zensurgutachten darüber unterrichtet, dass bei Erteilung eines Privilegs nur geprüft werden dürfe, ob das Werk überhaupt zensiert sei, nicht gegen Reichsgesetze verstoße und bislang noch kein kaiserliches Privileg darüber erteilt sei.42) Ob es sich dabei bloß um ein verbessertes Verfahren – schließlich wurde es erst mit Amtsantritt Joseph II. durchgeführt – gehandelt hat, oder ob Bücherprivilegien zuvor eher als reine Einnahmequelle angesehen wurden, mag dahinstehen.43)

Eckhard Höffner 2017/10/03 21:39

Fortsetzung


1)
Beckmann S.~96; Hilgers S.~3.
2)
Verboten war nach dem auf den 26. Mai 1521 datierenden Wormser Edikt die Verbreitung seiner Bildnisse, Meinungen und Lehren; seine Schriften sollten verbrannt werden. Luther wurden die Ehre und das Recht als Person abgesprochen; er war vogelfrei. Dies bedeutete nach dem damaligen Verständnis die Aufkündigung des allgemeinen Friedensvertrages zwischen den Menschen: Luther durfte von jedermann straflos getötet werden.
3)
Texte bei Kapp S.~775–785.
4)
Dass bis 1577 fast nur der Buchdrucker als Quelle der Schmähschriften angesehen wurde, das Schaffen des Autors hingegen im Hintergrund blieb, ist nicht zutreffend; so aber Kruse S.~26 f., der auch übersieht, dass im Abschied des Reichstags zu Regensburg vom 29. Juli 1541, Text bei Kapp S.~577, bereits die »Tichter« genannt wurden und dass es in der Römisch Kayserl. Majestat Ordnung und Reformation guter Polizei vom 30. Juni 1548, § 1 hieß: »Bei gleicher Poen sollen auch alle obgemeldte Buchdrucker schuldig und verpflichtet seyn, in alle Bücher, so sie also mit Zulassen der Obrigkeit hinführo drucken werden, den Autorem oder Dichter des Buchs, auch seinen des Druckers Nahmen, deßgleichen die Stadt oder das Ort, da es gedruckt worden, unterschiedlich und mit Namen zu benennen, und zu vermelden.« Der Name des Autors war anzugeben und insofern für die Obrigkeit von Bedeutung. Die persönliche Verfolgung der Ketzer und Häretiker war an der Tagesordnung; vgl. Schmidt S.~63; Kapp S.~534–538. Schon die mit der ersten kaiserlichen Zensurregelung zeitgleich erklärte Reichsacht über Luther und seine Anhänger richtete sich unmittelbar gegen den Autoren.
5)
Pirenne S.~72; Stollberg-Rilinger S.~93.
6)
Das Gemetzel der Bartholomäusnacht im August 1572, welches der Papst mit einer Freudenfeier begrüßte, ist nur ein herausragendes Beispiel des französischen Bürgerkrieges, den beide Seiten leidenschaftlich und grausam führten; vgl. Zeeden S.~161–165.
7)
Eisenhardt S.~26 f.; Kapp S.~536; Gieseke S.~465; Gieseke S.~57. Auszüge bei Wittmann S.~58 f.
8)
§. 9 des Abschieds des Reichstags zu Speyer vom 22. April 1529 lautet beispielsweise: »Darzu sollen und wollen wir, auch Churfürsten, Fürsten und Ständ des Reichs, mittlerzeit des Concilii, in allen Druckereyen und bey allen Buchführern, eines jeden Obrigkeiten mit allem möglichen Fleiß Versehung thun, das weiter nichts neues gedruckt, und sonderlich Schmähschrifften, weder öffentlich oder heimlich gedicht, gedruckt, zue kauffen feilgetragen oder ausgelegt werden, sondern was derhalben weiter gedicht, gedruckt oder feil gehabt wird, das soll zuvor von jeder Obrigkeit durch dazu verordnete verständige Personen besichtiget; Und so darin Mängel befunden, dasselbig zu drucken oder feil zu haben bei großer Straff nicht zugelassen, sondern also strenglich verboten und gehalten, auch der Dichter, Drucker und Verkauffer, so solch Gebot verfahren, durch die Obrigkeit, darunter sie gesessen oder betreten, nach Gelegenheit bestrafft werden.« – abgedruckt bei Kapp S.~775.
9)
Rose S.~11.
10)
Hilgers S.~249–255; Bappert S.~215; Hesse S.~12 f.
11)
Pfister S.~120.
12)
Raven S.~61–69; Mumby S.~54–69; Feather S.~16; Patry S.~6; Patterson S.~23.
13)
Abb. 2.5: Grafik von I. A. Faldoni, 1758
14)
Eisenhardt S.~21; Wittmann S.~59.
15)
Feather S.~97; Alexander S.~47–49.
16)
Text bei Kapp S.~582.
17)
Dillenz S.~55.
18)
Zit. nach Eisenhardt S.~20, 40.
19)
Goldfriedrich S.~20–23; Habermas S.~138.
20)
Goldfriedrich S.~364.
21)
Aus dieser Menschenrechtserklärung konnten die Bürger aber noch keine eigenen Rechte ableiten. Erst am 22. Juli 1881 wurde die Meinungs- und Pressefreiheit in Frankreich gesetzlich etabliert. Teilweise wird der Beginn der Aufhebung der Zensur auf den 5. Juli 1788 datiert, da an diesem Tag mit einem königlichen Arrêt den gebildeten Personen gestattet wurde, ihre Meinung zum Verfahren über die Einberufung der Generalstände (5. Mai 1789) frei zu äußern; vgl. Hesse S.~20.
22)
Vgl. Eisenhardt S.~44–46, 58–60; Gieseke.
23)
Zeeden S.~449 f.
24)
Weber S.~13.
25)
Ausführlich Eisenhardt S.~6. Die kaiserlichen sowie die auf den Reichstagen verabschiedeten Zensurbestimmungen aus den Jahren 1524, 1529, 1530, 1532, 1541, 1548, 1567, 1570 und 1577 sind bei Kapp S.~775–785, abgedruckt.
26)
Kapp S.~535–539; Eisenhardt S.~49.
27)
Kapp S.~550; Weber S.~208, 263. RPO 1548 34 § 2: »… sonder das solliche schmeliche Bücher schrifften/ gemälts und gemechts/ je lenger je mehr gedicht/ getruckt gemacht/ feyl gehabt/ unnd außgebrytet werden.« Allerdings finden sich Feststellungen über die Wirkungslosigkeit mancher Vorschriften auch in anderen Bereichen, etwa in RPO 1530 3 im Hinblick auf die Trunkenheit: »Unnd nach dem auß trunckenheyt/ wie man täglich befindet/ vil lasters/ übels und unradts entsteht/ auch inn vergangenen Reichßtägen des zutrinckens halb geordnet und gesatzt/ daß eyn jede oberkeyt solch zutrincken abstellen unnd das zu vermeiden/ die überfarer ernstlich straffen soll/ seind doch solch ordnung und satzung biß anher wenig gehalten und volnzogen worden/ sonder hat der angezeygt mißbrauch und unwesenheyt des zutrinckens allenthalben je lenger je mer eingewurtzelt sich gemeret und überhandt genommen …«
28)
Eisenhardt S.~7.
29)
Kapp S.~591; Wittmann S.~59.
30)
Goldfriedrich S.~364, nennt als Beispiele Holstein, Braunschweig, Sachsen-Weimar und Sachsen-Gotha.
31)
Goldfriedrich S.~350.
32)
1798 hat Kant in seinem letzten von ihm selbst herausgegebenen Werk, Der Streit der Facultäten, einen Streit mit der Zensurbehörde veröffentlicht. Es ging um das berüchtigte Wöllnersche Religionsedikt von 1788 sowie »ein die Schriftstellerei überhaupt sehr einschränkendes, mithin jenes [Religionsedikt] schärfendes Censuredict«. 1794 wurde Kant abgemahnt, da »seine Philosophie zu Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der heiligen Schrift und des Christenthums mißbraucht« werde. Er möge sich dergleichen nicht mehr zu Schulden kommen lassen, widrigenfalls er sich »bei fortgesetzter Renitenz unfehlbar unangenehmer Verfügungen zu gewärtigen« habe. Kant erklärte daraufhin, dass er sich »fernerhin aller öffentlichen Vorträge die Religion betreffend, es sei die natürliche oder geoffenbarte, sowohl in Vorlesungen als Schriften gänzlich enthalten werde« (Kant S.~5 f., 10). Diese Erklärung hinderte ihn aber nicht daran, sich im gleichen Werk ausführlich mit der Religion auseinanderzusetzen, was angesichts den damals an den Universitäten üblichen vier Fakultäten nicht ausbleiben konnte.
33)
Goldfriedrich S.~382, der die bayerischen Maßnahmen als »Vertilgungskrieg« bezeichnet; Goldfriedrich S.~370.
34)
nicht Heinrich v. Kleist
35)
Die Allgemeine Deutschen Bibliothek war eine Sammlung von Rezensionen, herausgegeben von der Berliner Nicolaischen Buchhandlung, die von 1765 bis 1806 in über 130 Bänden, diese in der Regel über 500 Seiten stark, erschienen ist.
36)
Goldfriedrich S.~382–387.
37)
Vgl. die Beschwerde der bayrischen Buchhändler; Goldfriedrich S.~371 f. Lachenicht S.~15–21, führt aus, dass die Thurn-und-Taxis-Post trotz eines Versendungsverbots von 1791 die französischen Zeitungen nach Österreich lieferte.
38)
Wadle S.~232; Siegrist S.~67; Vogel, Sp. 16.
39)
Eisenhardt S.~61 f.
40)
Eisenhardt S.~61 f.; ihm folgend Gieseke S.~26.
41)
Eisenhardt S.~11, 14. Die Kaiserkrone war seit 1438 nahezu stets in Habsburger Hand. Kaiser Karl VI. war der letzte männliche Nachkomme des österreichischen Zweiges des Hauses Habsburg, so dass 1740 Maria Theresia zwar in Österreich Regentin wurde, jedoch nicht die des deutschen Reichs. Die Kaiserkrone ging 1742–1745 an den Wittelsbacher Karl VII., 1745 wieder mit Franz I. an Habsburg. Die politischen Verhältnisse waren kompliziert. Die Goldene Bulle 1356 sah unter anderem vor, dass der König von Böhmen an den Kaiserwahlen zu beteiligen war, obwohl Böhmen im 15. Jahrhundert nicht mehr zum Heiligen Römischen Reich gehörte und ab 1627 zum vom Reich gesonderten Habsburgischen Erblande.
42)
Eisenhardt S.~12.
43)
Koppitz S.~206 f, nennt als Unterlagen, die einem Privilegienantrag beigefügt waren, Inhaltsübersichten oder Abschriften von anderen Privilegien. Bestätigungen über eine erfolgte Zensur waren um 1784 nur bei den kritischen Schriften aus den Bereichen Theologie, Philosophie oder Geschichte erforderlich.

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