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3 England – das Handelsgut

3.1 Zensur und Gilde

Der englische Buchmarkt war über lange Zeit nicht nur durch den Kanal, sondern auch durch die Sprache vom Kontinent getrennt, denn während auf dem Festland Latein die beherrschende, in der internationalen Wissenschaft verstandene Schriftsprache war, wurden in England Bücher von Anbeginn an zum Großteil in der Landessprache gedruckt.1) Die Unterteilung der Bände in dem Sammelwerk The Cambridge History of the Book in Britain spiegelt die Entwicklung in England und später Großbritannien wider:

  • Die ersten drei Bände betreffen die Zeit bis 1557;
  • Band vier die Gildenzeit von 1557 bis 1695.
  • Der fünfte Band umfasst den Zeitraum ab 1695 bis 1830.
  • Nach 1830 wurde in Großbritannien der Massenmarkt erschlossen.

<html><figure class=„rahmen mediaright“> <a title=„By Workshop of Hans Holbein the Younger 1497/8 (German), via Wikimedia Commons“ href=„https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AWorkshop_of_Hans_Holbein_the_Younger_-_Portrait_of_Henry_VIII_-_Google_Art_Project.jpg“><img width=„512“ alt=„Workshop of Hans Holbein the Younger - Portrait of Henry VIII - Google Art Project“ src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/07/Workshop_of_Hans_Holbein_the_Younger_-_Portrait_of_Henry_VIII_-_Google_Art_Project.jpg/512px-Workshop_of_Hans_Holbein_the_Younger_-_Portrait_of_Henry_VIII_-_Google_Art_Project.jpg“/></a> <figcaption class=„caption-text“>Henry VIII. (Hans Holbein)</figcaption></figure></html>

Einfluss auf den Buchhandel hatten neben der allgemeinen Entwicklung und Verbreitung des Drucks die Privilegien, die Gilden, die Kontrolle der Einhaltung der Zensurvorschriften und das Copyright. Die exklusiv zum Druck berechtigten Mitglieder der Company of Stationers entwickelten intern ein Ausschließlichkeitsrecht in Form des übertragbaren exklusiven Kopierrechts. Die Entstehung des right to copy als exklusives Recht entsprach dem üblichen Vorgang, wie er sich bei Gilden oder Zünften in zahlreichen Varianten zur Abgrenzung und Zuordnung eines bestimmten ausschließlichen Betätigungsfeld mit intern unterschiedlich definitiv aufgeteilten Rechten zeigte. Diese Rechte verselbständigten sich und nahmen eigentumsähnlichen Charakter an, indem sie innerhalb der Gruppe als individuelles, übertragbares und vererbliches Vermögensrecht ausgestaltet wurden. Das Ausschließlichkeitsrecht schließlich konnte in ideelle Anteile aufgeteilt werden und wurde wie jedes andere Gut gehandelt und versteigert.

Anglican Communion

Ausgangspunkt der Rechtsentwicklung war eine der Zensur dienende Regelung.

<html><figure class=„rahmen mediaright“></html> <html><figcaption class=„caption-text“>Queen Anne Boleyan</figcaption> </figure></html>

Heinrich VIII. stellte 1534 seine Untertanen und Mitchristen auf eine schwere Probe mit der Lossagung vom Papst, sei es, weil er sich den kirchlichen Grund einverleiben wollte, sei es, weil sein arger Lebenswandel und zahllose Hinrichtungen nicht den Segen Roms fanden. Der Papst stimmte seiner Scheidung nicht zu, während Heinrich die kirchliche Zustimmung zur Scheidung und die beabsichtigte Heirat mit Anne Boleyan als notwendig ansah. Mit dem Bruch von Rom war die Scheidung und die Heirat mit Anne möglich geworden (Anne wurde 1536 wg. Hochverrats hingerichtet). Heinrich folgte aber nicht einer der aufblühenden reformierten Glaubensrichtungen auf dem Kontinent, sondern ließ die Bürger einen Schwur auf den König als das höchste Oberhaupt der Kirche von England auf Erden ablegen. Personen, die den Schwur verweigerten, wurden hingerichtet. Der Kopf des berühmten Humanisten und ehemaligen Lord Chancellor Thomas Morus, der den Schwur verweigerte, wurde einen Monat lang auf der London Bridge zur Schau gestellt.2)

Zensur

<html> <figure class=„rahmen mediaright“> <a target=„_blank“ title=„Hans Holbein [Public domain], via Wikimedia Commons“ href=„https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AHans_Holbein%2C_the_Younger_-_Sir_Thomas_More_-_Google_Art_Project.jpg“><img width=„512“ alt=„Hans Holbein, the Younger - Sir Thomas More - Google Art Project“ src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/d/d2/Hans_Holbein%2C_the_Younger_-_Sir_Thomas_More_-_Google_Art_Project.jpg/512px-Hans_Holbein%2C_the_Younger_-_Sir_Thomas_More_-_Google_Art_Project.jpg“/></a> <figcaption class=„caption-text“>Hans Holbein: Thomas Morus</figcaption> </figure></html>

Es wurden eine weitgehend unveränderte katholische Liturgie ohne Papst verordnet und die Lutherschen Schriften verboten. Zudem wurde in der anglikanischen Kirche die lateinische Sprache aufgegeben und die englische genutzt.

1538 wurde die Vorzensur aller Druckschriften angeordnet.3) Bis zur wenig spektakulären, aber erfolgreichen Revolution 16884) blieb die Zensur ein entscheidendes Motiv für die Krone, den Buchhandel zu regulieren.

Klassenprivilegien

In England – wurden den Druckern und Verlegern von der Krone zwar wenige, dafür aber teilweise sehr weitreichende und profitable Ausschließlichkeitsrechte eingeräumt. Das erste Privileg für Druckerzeugnisse soll in England 1510, in Schottland 1507 erteilt worden sein5)

Die Privilegien – patents – waren nicht immer auf ein bestimmtes Werk beschränkt, sondern manchmal nur auf den Gegenstand. Das erste Klassenprivileg (1553), das nicht nur ein konkretes Werk, sondern eine abstrakt umschriebene Klasse zum Gegenstand hatte, betraf sämtliche juristischen Schriften. Der mit dem law printing patent privilegierte Richard Tottel durfte ausschließlich nicht nur alle bereits erschienenen Rechtsbücher drucken, sondern auch alle in Zukunft erscheinenden.

Die von der Krone erteilten Privilegien betrafen in erster Linie Werke toter Autoren oder abstrakte Klassen. Bücher für den Massenmarkt unterfielen in der Regel einem der rund 35 Privilegien. Um 1570 waren durch Privilegien die Rechte an den einträglichsten Titeln – religiöse Werke, Schulbücher, offizielle Dokumente, Rechtsbücher, Almanache, klassische Werke und Musikbücher – auf wenige Gildenmitglieder aufgeteilt.6) Sie hatten die Rechte für Bücher, die teilweise in fünfstelligen Stückzahlen gedruckt wurden, während bei den anderen Büchern die Auflage eher 500 Exemplare betrug.7) Nach der Aufstellung bei Roberts8) waren wohl alle in höheren Auflagen gedruckte Bücher privilegiert. Er nennt beispielsweise die Bibel, das Neue Testament, Schulbücher, Grammatiken, Wörterbücher, das ABC für Schulanfänger, lateinische Bücher, Musikbücher, Kalender, Katechismen oder Predigten.

Company of Stationers

Die Drucker und Buchhändler waren wie nahezu alle bedeutenden englischen Gewerbeunternehmen – Händler jeder Art, Schmiede, Innenausstatter, Schreiber, Brauer, Korbmacher, Handschuhmacher, Schneider, Schuster usf. – in Gilden9) organisiert. Mitglieder konnten nur freemen sein und Freie waren Bürger der Stadt London, weil die auf dem Land lebende Bevölkerung einem regionalen Fürsten als Leibeigene (serfs, villeins oder slaves) zugeordnet war.

Die beteiligten Gewerbe der seit 1403 bestehenden, eher unbedeutenden Company of Stationers waren die Buchhändler, die Buchbinder, die Buchmaler sowie die auch international tätigen Papierhändler.10) Die Papierhändler lieferten den wichtigsten Rohstoff für die Buchproduktion, der noch bis in das 18. Jahrhundert hinein zumindest teilweise importiert werden musste.11)

Die ersten Buchdrucker in England wie William Caxton, der um 1470 in Köln das Handwerk gelernt hatte und sich in Westminster niederließ, gehörten nicht zur Gilde. Erst als die Drucker Mitte des 16. Jahrhunderts sich in London niederließen, konnten sie – nunmehr als Freie (freemen) – Gildenmitglieder werden.12) Die Gilden konnten weitgehend eigenständig ohne Einflussnahme durch die Krone nach eigenen Regeln und mit einer eigenen, vorrangig anzurufenden Gerichtsbarkeit die internen Angelegenheiten regeln.

Gilden waren nach einer bestimmten Hierarchie mit einfachen und wahlberechtigten Mitgliedern (Yeomanry und Livery), einer Art Aufsichtsrat, der zugleich Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern zu entscheiden hatte (Court of Assistants), sowie den drei Mitgliedern des Exekutivorgans (Under Warden, Upper Warden und Master of the Wardens), organisiert.13)

1557 (und 1559 mit nahezu gleichem Wortlaut Queen Elizabeth) räumte Queen Mary I. der Worshipful Company of Stationers of London (stationarii14) waren die Buchhändler) ein Ausschließlichkeitsrecht zur Herstellung und zum Handel mit Büchern ein im Rahmen einer als Royal Charter of Incorporation ein Ausschließlichkeitsrecht zur Herstellung und zum Handel mit Büchern ein:

… no person within this our realm of England or the dominions of the same shall practise or exercise by himself or by his ministers, his servants or by any other person the art or mistery of printing any book or any thing for sale or traffic within this our realm of England or the dominions of the same, unless the same person at the time of his foresaid printing is or shall be one of the community of the foresaid mistery or art of Stationery of the foresaid City [London], or has therefore licence of us, or the heirs or successors of us the foresaid Queen by the letters patent of us or the heirs or successors of us the foresaid Queen.15)

Das Ausschließlichkeitsrecht der Gilde war verbunden mit der Kontrolle über die Beachtung der Zensurvorschriften.16) Die Einräumung der Rechte war nicht regional begrenzt, sondern erstreckte sich auf das gesamte englische Hoheitsgebiet der Krone („our realm of England“).

In der Charter wurde in den ersten Zeilen auf die unerwünschten Schriften Bezug genommen: »Know ye that we, considering an manifestly perceiving that certain seditious and heretical books rhymes and treatises are daily published and printed by divers scandalous malicious schismatical and heretical persons ….«17) Die Gilde (genauer der Master, die Keepers und Wardens) bekam Rechtsfähigkeit und das Recht zugesprochen, die Geschäftsräume der Drucker, Buchbinder und Buchhändler zu durchsuchen und Bücher zu beschlagnahmen und zu verbrennen, sollten diese gegen etwaige Vorschriften verstoßen. Englische Gilden hatten nicht nur den eigenen Court of Assistants, sondern auch ein gildeneigenes Gefängnis. Die Organe durften die Täter festnehmen und waren befugt, bei Verstößen die Bestrafung der Gildenmitglieder mittels eigenem Gericht (und Gefängnis) zu beantragen und durchzusetzen. Sie waren für die Einhaltung der Gildenbestimmungen zuständig. In diesen konnte sie zunfttypische Regelungen erlassen wie etwa die Festlegung der Arbeitszeiten, Höchstpreise, Qualitätsstandards oder Auflagenhöhe. Sie konnte die Zahl der Lehrlinge oder Druckerpressen beschränken. Sie konnte bei Verstößen gegen Zunftregeln beispielsweise auch die Zerstörung von Druckerpressen anordnen oder die Festnahme von Lehrlingen veranlassen, die ihren Lehrherren verlassen hatten.18)

Eckhard Höffner 2017/10/06 14:36

Fortsetzung


1)
Feather S.~57 f.; Collinson et al./Barnard S.~5. Wissenschaftliche Werke in der Landessprache hatten einen schweren Stand, da der Käuferkreis klein war. Auf dem Kontinent war durch das Lateinische der Absatzmarkt unabhängig von der Muttersprache und deshalb deutlich größer. Auf dem Kontinent war auch der Handel mit den lateinischen Werken der Gelehrsamkeit bereits sehr früh (aber auch nur für relativ kurze Zeit) international und erstreckte sich auch auf England, u. a. auch, weil die englischen Buchhändler an der Frankfurter Messe teilnahmen; Arber S.~xvi; Wittmann S.~41, 44; Raven S.~20, 60.
2)
Der Lord Chancellor war der höchste Verwaltungsbeamte in England. Morus wurde 1534 vom König abgesetzt, eingekerkert und ein Jahr später hingerichtet. Er wurde von der römisch-katholischen Kirche als Märtyrer heilig gesprochen. Papst Paul III. sprach die Exkommunikation von Heinrich aus.
3)
Hilgers S.~206–221; Raven S.~61–69; Mumby S.~54–69; Greene S.~41–43; Patterson S.~23.
4)
Zum Bild der Revolution Pincus S.~4–9, der dem allerdings entgegentritt: Es sei bei der Revolution entscheidend um die Frage gegangen, ob dem niederländischen calvinistisch geprägten liberalen Handelskapitalismus gefolgt werden solle oder dem französischen katholischen Vorbild.
5)
Raven S.~32; Mann S.~55. Der Wert des englischen Bibelmonopols wird von Raven S.~43, auf dreißigtausend Pfund geschätzt – eine damals äußerst hoher Betrag.
6)
Zwei Beispiele dieser Druckpatente von 1559 sind bei Patterson S.~231–233, abgedruckt. Zwischen 1603 und 1640 wurden nur rund siebzig Patente vergeben, die zumeist die dauerhaft umsatzstarken Werke betrafen; Raven S.~75.
7)
Patterson S.~90.
8)
Roberts S.~28 f.
9)
Die sprachliche Unterscheidung zwischen Gilden (Handel) und Zünften (Handwerk) gibt es in der englischen Sprache nicht.
10)
Arber S.~xxiii. Zu Beginn waren dies die Pergamenthersteller, „parcheminiers“.
11)
Raven S.~125. In Deutschland blieben Papier- und Buchhandel getrennt. Jedoch wurde mit dem Erstarken der Frankfurter Messe im 16. Jahrhundert diese zugleich zum Mittelpunkt des Papierhandels; vgl. Kapp S.~475 f.
12)
Feather S.~13; Patterson S.~28–31; Dallon S.~394.
13)
Feather S.~34 f.; Patterson S.~31.
14)
Zur Geschichte der stationarii an den englischen Universitäten; Mumby S.~27–32.
15)
Die Texte der Charter 1557 und 1559 sind abgedruckt bei Arber S.~xxviii–xxxi, oder Mumby S.~424–430.
16)
Mumby S.~76.
17)
Arber S.~xxviii.
18)
St Clair S.~61 f; Patterson S.~47, 60.

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