Die Tragödie des Wohlstands der Nationen
In den Wirtschaftswissenschaften herrscht die Vorstellung, dass das Aggregat der Handlungen einer Vielzahl von Menschen, die alle nach ihrem eigenen Vorteil streben, zugleich das optimale Ergebnis herbeiführe. Die Entscheidungen einzelner werden nicht in Frage gestellt und Beschränkungen gelten regelmäßig als unzulässiger Eingriff in die Freiheit. Die Menschheit verbraucht gleichzeitig seit Jahrzehnten mehr Ressourcen als reproduziert werden. Weder der Wohlstand noch die Bevölkerung können ewig weiter wachsen. Es wird sich ein neues Gleichgewicht einstellen, das eine Reduktion der Bevölkerungszahl und des Wohlstands zur Folge haben wird, in welchem Verhältnis ist noch offen. Bestehen in dieser Konstellation überhaupt Chancen, dass es nicht zur Katastrophe kommt?
1 Grenze der Ressourcen
Die Menschheit hat ihr Budget an natürlichen Ressourcen 2019 rechnerisch Ende Juli 2019 verbraucht (sog. Welterschöpfungstag) behauptet das Global Footprint Network. Die Menschheit habe zu diesem Zeitpunkt so viele Ressourcen von der Erde beansprucht, wie alle Ökosysteme im gesamten Jahr erneuern können. In die Berechnung fließt unter anderen die Land- und Wasserfläche ein, die vor allem durch Photosynthese, die Umwandlung von Sonnenenergie in Biomasse, die Grundlage des Lebens bildet. Um die von der Menschheit verbrauchten ökologischen Ressourcen wie Wasser, Land, Pflanzen, Holz und saubere Luft zu regenerieren, seien derzeit 1,75 Erden notwendig. Der übermäßige Verbrauch sei immer deutlicher feststellbar, etwa an der Bodenerosion, dem Rückgang der Wälder, der geringeren Artenvielfalt oder dem Anstieg von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre. Die Zunahme des Kohlendioxids beruht zum Teil auf der Nutzung von fossilen Brennstoffen. Kohle und Erdöl sind aus Biomasse entstanden. Sie haben einen höheren Energiewert, weil sie Sonnenenergie nicht wie ein Stein bei kühleren Temperaturen wieder abgeben, sondern in Form von Wachstum speichern. Einen Teil der gespeicherten Energie kann man durch das Verbrennen von Öl, Holz oder Kohle wieder freisetzen. Die freigesetzte Energie wird hauptsächlich zur Erzeugung von Wärme genutzt, die teilweise wie bei der Dampfmaschine oder den typischen KFZ-, Schiffs- oder Flugzeugmotoren in die Beschleunigung und Bewegung von Masse umgewandelt wird.
Der Großteil des Wohlstands seit der Industrialisierung beruht auf dem technischen Fortschritt und dem Umstand, dass man nicht mehr mittels Handarbeit, Ochsenkarren, Windmühlen, Wasserrädern, Segelschiffen, Flößen etc. produziert, transportiert oder konsumiert. Innerhalb einer kurzen Spanne werden die im Laufe von Jahrmillionen angesammelten Energiereserven Kohle und Öl verbraucht. Das erste Jahr, in dem der globale Ressourcenverbrauch die Reproduktion überschritten hat, soll 1970 gewesen sein. Zwei Jahre zuvor hatte Garrett Hardin den Artikel »The Tragedy of the Commons«1) veröffentlicht. Gegenstand des Artikels ist eine Selbstverständlichkeit, die in den Wirtschaftswissenschaften kaum Beachtung fände (Hardin war Mikrobiologe und Ökologe): Eine endliche Welt kann nur eine endliche Zahl an Menschen ernähren.
1.1 Verbrauch größer als Produktion
Wenn ein Mensch im Schnitt am Tag einen Energiebedarf von 1600 Kalorien hat, muss die Erde eine entsprechende Menge an in Nahrung gespeicherter Energie am Tag produzieren. 1600 Kalorien genügen nur, um den Menschen am Leben zu erhalten. Arbeitet der Mensch, betreibt er Sport, musiziert er, so steigt der persönliche Energiebedarf. Bei der Nutzung von mit Energie betriebenen Maschinen (Herd, Fernseher, Computer etc.) oder beim Reisen steigt der Energiebedarf in besonderem Maße. Nicht nur für die eigentliche Nutzleistung, sondern auch für die Herstellung der Maschinen werden Energie und andere Ressourcen verbraucht. Die Steigerung des Wohlstands ist bedingt durch die Steigerung des Energiebedarfs und der Menge der für die Herstellung der Güter benutzten Rohstoffe. Die Energiegewinnung ist nach Hardin der Kern des Problems; und die Atomenergie könne daran nichts ändern. Atomkraftwerke können weder Reis noch Korn oder einen Baum wachsen lassen. Dementsprechend könnten weder die Bevölkerungszahl noch der Wohlstand immer weiter steigen. Das utilitaristische Ziel Benthams, »the greatest good for the greatest number«, sei unter diesen Bedingungen nicht erreichbar.2) Bei einer begrenzt nutzbaren Energiemenge oder einem Überschreiten der Regenerationsrate können bereits mathematisch nicht beide Variablen, also die Zahl der Menschen und deren Wohlstand, gleichzeitig steigen.
Das stete Wachstum setzt voraus, dass die notwendigen Ressourcen nicht nur gegenwärtig verfügbar sind, um die gegenwärtige Bevölkerung und deren Lebensstand zu ermöglichen. Sie müssen langfristig ausreichen, um den Bedarf auch in der Zukunft zu decken. Die Nachfrage nach Nahrung, Energie oder belastbarer Erdatmosphäre steigt immer weiter, das Angebot ist jedoch limitiert. Es wird sich zwangsläufig im Laufe der Zeit ein neues Gleichgewicht einstellen, weil die Nachfrage nicht vollständig gedeckt werden kann. Wie sich das Gleichgewicht gestalten werde, so Hardin, sei offen. Die Vergrößerung der Bevölkerung begrenze den möglichen Wohlstand und umgekehrt. Eine Maximierung des Wohlstands führt zu einer Reduzierung der möglichen Größe der Bevölkerung und eine Maximierung der Bevölkerung zu einer Reduzierung des möglichen Wohlstands. Man könne nicht die Bevölkerung und den Wohlstand gleichzeitig wachsen lassen. Wenn weiterhin mehr Ressourcen verbraucht werden, wird das neue Gleichgewicht entweder die Reduzierung eines Teils der Weltbevölkerung oder des Wohlstands bedeuten (oder beides). Man könne zwar in einer positiven Wachstumsrate der Bevölkerung einen Beleg dafür sehen, dass eine Population noch unter ihrem Optimum liege. Jedoch seien die am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppen der Erde im Allgemeinen die elendsten. Umgekehrt hätten die reicheren Staaten keine Strategie entwickelt, wie sie das Problem des übermäßigen Verbrauchs an Ressourcen behandeln. Keiner der entwickelten Staaten habe etwa eine Wachstumsrate von Null. 1968 war die Aufrechterhaltung des Wohlstands bei gleichbleibender Bevölkerungsgröße noch möglich, 1970 wurde die Grenze, das Übersteigen des Ressourcenverbrauch im Verhältnis zur Regenerationsfähigkeit, nach Angaben des Global Footprint Networks überschritten, so dass heutzutage entweder eine deutliche Verminderung des Wohlstands oder der Bevölkerungsgröße (oder beides) die Folge sein wird. Dies ist eine zwangsläufige Konsequenz, die auch durch technische Mittel oder Innovationen langfristig nicht geändert werden kann.
Die Umweltbelastung und andere Auswirkungen des eigenen wirtschaftlichen Handelns auf Dritte werden in der Volkswirtschaftslehre Externalitäten genannt. Sie gelten als eine Ursache für ein Marktversagen, da der freie Markt nicht zum optimalen Ergebnis führt. Die Umweltbelastung wird modellhaft in einer Kosten-Nutzen-Rechnung dargestellt. Wenn bei der Produktion einer Fabrik schädliche Abwässer in Flüsse eingeleitet oder schädliche Abgase emittiert werden, seien dies Schäden, die den Verursacher nicht nennenswert belasten, weil hauptsächlich andere darunter zu leiden haben. Der Inhaber einer Fabrik trage nicht sämtliche Kosten, die seine Produktion verursacht. Er hat keine Veranlassung, die Umweltbelastungen zu reduzieren, weil dies nur seinen Gewinn schmälert, ihm aber keine nennenswerten Vorteile einbringt. Externalitäten werden aus Sicht derjenigen, die der Meinung sind, der Markt führe in aller Regel ohne Einflussnahme des Staates zum besten Ergebnis, als ein Ursache aufgefasst, von dem Laisser-Faire-Prinzip abzurücken und mittels Lenkungssteuern, Verboten oder Subventionen in das Geschehen einzugreifen. Die Annahmen der Ökonomen sind zunächst finanzieller Natur: Das Unternehmen produziert zu günstig. Wenn die volkswirtschaftlichen Kosten die betriebswirtschaftlichen Kosten übersteigen, ist die volkswirtschaftlich optimale Menge geringer als die produzierte.3)
Auf der anderen Seite wird das Wachstum forciert. Mit dem technischen Fortschritt verringert sich der Bedarf an Arbeitskräften, der durch eine gesteigerte wirtschaftliche Aktivität mit wieder ausgeglichen werden sollte. Die Steigerung der Produktivität durch Maschinen oder Roboter muss nicht zwingend zu einer Verringerung der Gesamtnachfrage nach Arbeit führen. Say hat dargelegt, dass Güter für den Markt regelmäßig nur dann hergestellt werden, wenn es eine Nachfrage gebe. Die Nachfrage setze finanzielle Mittel der Käufer voraus und diese finanziellen Mittel könnten sie nur erhalten, wenn sie selbst Leistungen über den Markt veräußern. Hieraus ergibt sich ein Wechselspiel, nach dem die Vergrößerung des Angebots zu einer Vergrößerung der Nachfrage führt; diese Nachfrage ist gleichbedeutend mit neuen Leistungen, die auf dem Markt angeboten werden. Die Herstellung eines Guts durch A eröffnet die Möglichkeit zur Herstellung und dem Verkauf eines anderen Guts durch B, das dieser an A veräußern kann. Dementsprechend würde eine gute Ernte nicht nur Vorteile für den Landwirt bedeuten, sondern darüber hinaus. Je höher die Einnahmen des Landwirts seien, desto größer sei seine effektive Nachfrage nach Gütern anderer Produzenten, die davon profitieren würden, da deren Produktion und Absatz steige.4) Der technische Fortschritt in einer Branche kann insgesamt zu einer Vergrößerung der Produktion in anderen Bereichen führen. Die durch den technischen Fortschritt freigewordenen Ressourcen (wozu auch der Mensch gehört, der in der ökonomischen Theorie Mittel und Zweck zugleich ist) sollen möglichst nicht ungenutzt bleiben, sondern an anderer Stelle sich in den Produktionsprozess einbringen, damit der Gesamtausstoß erhöht wird. Der Wohlstands einer Nation geht mit der Menge der produzierten Güter einher. Je höher der Wohlstand ist, desto mehr und desto schneller werden Produkte hergestellt und veräußert und zugleich steigt der Ressourcenbedarf.