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Teil 4

2.3 Wachstum

Die Menschheit hat im über Jahrhunderte hinweg mit keinem oder geringem Wachstum oder auch einem wirtschaftlichen Rückgang überlebt. Wachstum bedeutete oft nur Bevölkerungswachstum und die Ausbreitung in zuvor weniger besiedelte Gebiete. Das Wachstum wird zwar oft mit dem Kapitalismus in Verbindung gebracht, aber an erster Stelle steht der gestiegene Energieverbrauch. Ohne die Steigerung des Verbrauchs an fossilen Energieträgern hätte es das Wachstum nicht gegeben, gleichgültig ob mit oder ohne Kapitalismus. Umgekehrt ist das Wirtschaftswachstum für eine kapitalistische Marktwirtschaft von essentieller Bedeutung. Sie kann im Grundsatz nur funktionieren, wenn es in toto positive Kapitaleinkünfte gibt. Nur dann werden finanzielle Mittel in neue Produktionsanlagen, Betriebe etc. investiert. Ist die Kapitalrendite gering, wandert es in Ausland oder wird in Immobilien oder Edelmetallen angelegt. Die großen Zentralbanken streben seit Jahrzehnten keine Nullinflation an, sondern einen Wert von ca. 2 %. Die Inflationsrate soll dazu anregen, dass die finanziellen Mittel investiert werden.

Wenn es ein Nullwachstum und zugleich ein positives Kapitaleinkommen gibt, sinken langfristig die Einkommen aller anderen, sei es, weil sie mehr Miete bezahlen müssen, weil die Einkommenssteigerung geringer ausfällt als die Inflation, weil Banken Zinseinnahmen erzielen oder weil der Bäcker seinen Brotpreis erhöhen muss, weil er eine höhere Miete zu zahlen hat. Andere Umverteilungsmechanismen wie etwa die Altersversorgung haben, anders als Kapitaleinkommen, nicht die Tendenz zum exponentiellen Steigen (Zinseszins). Ein Nullwachstum ist aus Sicht der Ökonomie eine Rezession, die in einer Marktwirtschaft auf Dauer zu Auswanderung, sozialen Unruhen oder anderen Radikalisierungen führen kann. Die modernen Industrieländer sind auf eine Kapitalrendite angewiesen, um eine wettbewerbsfähige Wirtschaft aufrecht zu erhalten und fortlaufende Investitionen in die Wirtschaft sicherzustellen. Sie müssen deshalb auch möglichst fortlaufend ein positives Wachstum aufweisen, um die Kapitalrendite sicherzustellen.

Bei der üblichen Verteilung der Einkommen kann ein Staat es kaum wagen, die ökonomisch angezeigten Mengenreduktionen durchzusetzen. Die Schlussfolgerung der Ökonomen, dass bei nicht internalisierten negativen externen Effekten zu günstig produziert wird, heißt ja nicht, dass die Preise erhöht werden sollen, sondern dass die produzierte und konsumierte Masse des betroffenen Produkts reduziert werden soll. Das Wachstum muss in dem System gleichwohl vorhanden sein. Einzelne Staaten können versuchen, einen Wandel des inländischen Konsums zu erreichen. Wachstum lässt sich dabei sinnvoll nur durch qualitatives Wachstum erreichen, was aber eine Umstellung der Produktion und eine Umverteilung der Einkommen voraussetzt, denn auch die Produkte des täglichen Bedarfs müssten teurer werden. Zweck der Umverteilung ist nicht, mehr Konsum zu ermöglichen, sondern eine andere Art der Produktion und Distribution, in die der Ressourcenverbrauch eingepreist ist und zu einer Verringerung des Ausstoßes führt.

2.4 Tragödie der Allmende

Die moderne Tragödie der Allmende stellt sich so als eine Tragödie des Wohlstands der Nationen dar. Die Erdatmosphäre ist die Allmende. Die Umstände, die zur Übernutzung der Atmosphäre oder den Ressourcen der Erde führen, können praktisch nur die Staatsregierungen und -verbände ändern. Sie müssten der heimischen Wirtschaft und dem heimischen Konsum Zügel anlegen, können das aber nicht gegen die Interessen der eigenen Wirtschaft oder der eigenen Bevölkerung durchsetzen. Bei Maßnahmen gegen die eigene Wirtschaft gefährden sie nur den eigenen Wohlstand, erreichen wahrscheinlich nicht einmal den Zweck, weil es immer andere Staaten gibt, die es ihren Unternehmen erlauben, die Lücke zu füllen. Wer den ersten Schritt macht, wer in Vorleistung geht, hat verloren. Der typische Auftrag an Politiker lautet deshalb eher, wesentlich die Schäden der anderen zu minimieren; ein nie erfüllbarer Auftrag.

Jeder einzelne Staat erleidet nur einen Teil des Schadens, den die eigene Wirtschaft und der heimische Konsum verursacht, aber umgekehrt auch einen Teil des Schadens, den die anderen verursachen. Diejenigen, die den meisten Schaden verursachen, sind in der Regel zugleich die größten Nutznießer des Systems. Keiner hat in dieser Situation einen Anlass, ernsthaft eine Schadensreduktion herbeizuführen, die die eigene Wettbewerbsfähigkeit und damit den Ausstoß der eigenen Wirtschaft gefährdet. Die Industriestaaten haben in manchen Bereichen bereits vergleichsweise hohe Standards und eine hohe Produktivität. Wenn diese ihre Produktion drosseln müssten, können andere Hersteller an deren Stelle treten, so dass infolge niedriger Standards es sogar zu einer Erhöhung des Schadstoffausstoßes bei gleicher Produktionsmenge kommen kann.

Die freie Marktwirtschaft ist auch eine planlose Anarchie ohne einheitliche Leitung. So viele Vorteile die Marktwirtschaft haben mag; die auf dem Individualismus beruhende Freiheit, nur nach seinem eigenen Vorteil streben zu dürfen, bietet nicht einmal die Hoffnung, dass auf die Klimakrise oder den übermäßigen Ressourcenverbrauch angemessen reagiert werden kann. Das bedeutet keineswegs, dass autoritäre Regierungsformen vorzugswürdig sind. Sie können zwar den Wandel befehlen, aber auch das genaue Gegenteil anordnen; die Regierungsform bietet keinerlei Gewähr für irgend ein positives Ergebnis, dafür aber unzählige andere Nachteile.

Derzeit scheinen nur internationale Abkommen mit Sanktionen gegen Freerider in Betracht zu kommen. Wenn allerdings die Vereinigten Staaten, China, die EU, Indien weiterhin um eine wirtschaftliche Vorrangstellung und Besitzstandwahrung kämpfen, sind die Chancen schlecht.

2.5 Nullwachstum

Ein Nullwachstum des Wohlstands oder der Bevölkerung wird von den ökonomischen Autoren gefürchtet und missbilligt, wie schon Mill festgestellt hat.1) Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mill hat gleichwohl versucht, gewisse Mindestbedingungen zu definieren.

Er stellte mitten im 19. Jahrhundert die Frage, auf welchen Punkt die Gesellschaft mit ihrem immer weiter wachsenden industriellen Fortschritt hinsteuere. Jeder Ökonom müsse akzeptieren, dass der Wachstum des Wohlstands nicht unendlich sein könne und das am Ende des Prozesses kein weiteres Wachstum mehr stattfindet. Auch wenn dieses Stadium unvermeidlich sei, die staatswirtschaftlichen Autoren fassten diesen Zustand nur als unerfreulich und entmutigend auf, ein Zustand, der vermieden werden muss.

Er selbst würde dies durchaus als wünschenswert ansehen, wenn gewisse Bedingungen erfüllt seien bzw. erfüllbar wären. Der Zustand des Nullwachstums soll dann angestrebt werden, wenn der Aufwand außer Verhältnis zu dem Erfolg stehe (dieser Zustand ist inzwischen faktisch erreicht). Er erkenne keinen Sinn, wenn Personen, die bereits ein Vermögen hätten, das jedes Bedürfnis übersteige, ihre Mittel und ihren Konsum weiter steigern würden, ohne dass dieses Vermögen ihnen weitere Glückseligkeit verschaffe (abgesehen von dem Repräsentieren von Reichtum). Genauso wenig sei es sinnvoll, weiteres Wachstum anzustreben, damit mehr Personen aus der Mittelklasse in die der Reichen aufsteigen könnten. Nur die nicht so entwickelten Staaten müssten sich um eine Steigerung des Wohlstands kümmern. Den von Mill angestrebten Zustand kann man nicht als einen Stillstand auffassen, sondern als ein Zustand, in dem zwar keine Ausweitung der Produktion stattfindet, aber weiterhin eine qualitative Änderung.

Das marktwirtschaftliche Ideal, dass die Menschen ständig um das Fortkommen bangen müssten, »the trampling, crushing, elbowing and treading each other's heel's« sei für das Wachstum notwendig, jedoch nicht erstrebenswert. In den fortschrittlichsten Staaten sei ab einem gewissen Zeitpunkt wirtschaftlich eine bessere Verteilung der Einkommen und eine Begrenzung der Bevölkerung notwendig, jedoch kein weiteres Wachstum. Der Staat müsse dafür sorgen, dass die Produktion aufrecht erhalten bleibt, dass kein Staat markant hinter einen anderen zurückfällt, dass niemand arm sei und das keiner das Bedürfnis hätte, reicher zu werden.

Man mag dies als eine Utopie auffassen, aber welche Alternativen bieten sich? Wir erleben derzeit den Kampf um den Erwerbsspielraum, in dem Mitspieler ausgeschlossen und faktisch einem tödlichen Schicksal überlassen werden. Wenn der Erwerbsspielraum knapp wird, so Max Weber, wird ein Teil der Konkurrenten anhand irgend einem äußerlich feststellbaren Merkmal ausgeschlossen. Das seien typischerweise Rasse, Sprache, Konfession, örtliche oder soziale Herkunft, Abstammung, Wohnsitz usw.2) Wir können diesen Ausschluss auf verschiedene Arten herbeiführen, der auf eine Reduktion der vor allem ärmeren Weltbevölkerung hinauslaufen dürfte. Dies kann jedoch nur zu einer gewissen Verzögerung führen, wenn die reichen Nationen ihren Wohlstand und Ressourcenverbrauch nicht reduzieren. In der gegenwärtigen Entwicklung wäre dies nur ein kurzfristiger und in jeder ethischen Hinsicht teuer erkaufter Aufschub.

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1)
Mill S. 752.
2)
Weber S. 260.

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