Teil 3
2 Die Weltweide
Es gab immer wieder die verbreitete Vorstellung, das Ende der Welt, die Apokalypse, sei nahe. Auch wenn dies nicht eingetreten ist: Die Tatsache, dass die Erde und die Ressourcen endlich sind, und damit zwangsläufig irgendwann eine Übernutzung stattfinden muss, lässt sich nicht leugnen. Es gab früher Mangellagen, die durch Emigration, dem Wegsterben eines Teils der Bevölkerung, durch technische Entwicklung wie die Dreifelderwirtschaft oder Düngung oder schlichtweg wieder bessere Ernten endeten. Jedoch war langfristig nur das Wegsterben eines Teils der Bevölkerung nicht mit einer Steigerung der Produktionsmenge und damit einem höherem Ressourcenverbrauch verbunden. Brachliegende Landflächen wurden genutzt, Sümpfe trocken gelegt, Millionen sind im 19. Jahrhundert nach Amerika ausgewandert und nutzen dort Ressourcen, Kohlegruben drangen immer weiter in das Erdreich vor und das Meer wird inzwischen teils wie eine Viehzucht bewirtschaftet mit Fütterung, Pestiziden, Antibiotika usw. Dass der Mensch viele Mittel gefunden hat, die Produktionsmenge zu steigern, steht außer Frage. All dies ändert nichts daran, dass irgendwann eine Übernutzung eintritt, die sich weder technisch noch durch einen weiter steigenden Energieverbrauch vermeiden lässt.
2.1 Einheitliche Kontrolle der Ressource
Wenn die Ergebnisse des Global Footprint Networks oder die Feststellungen zur Änderung der klimatischen Bedingungen stimmen, haben wir seit längerem die Grenze überschritten. Wir sind deshalb heutzutage mit der Tragödie der Allmende auf einem anderen Niveau konfrontiert. Die Viehweide ist nicht mehr eine größere Landfläche, sondern die Erdatmosphäre (oder die regenerierenden Ressourcen). Anstelle der Viehweide ist das Bild eines Waldes eher geeignet. Ein Wald kann eine bestimmte Menge an Holz liefern. Die maximale Menge ist begrenzt durch die Grundfläche und durch andere Faktoren wie Qualität des Bodens, Insektenbefall, Stürme, Aufforstung etc. Man kann mit technischen Maßnahmen viele Faktoren beeinflussen, jedoch können technische Maßnahmen die Grundfläche nicht vergrößern. Wenn mehr Holz verbraucht wird als unter Anwendung der technischen Mittel möglich ist, wird die Substanz des Walds selbst angegriffen.
Fragt man sich, wieso bei regenerierenden Ressourcen nach der volkswirtschaftlichen Theorie das Privateigentum dem Gemeineigentum überlegen ist, so ist das nicht die Überlegenheit des Kapitalismus gegenüber dem Sozialismus, sondern die einheitliche Zurechnung aller Vorteile und Nachteile verbunden mit einer einheitliche Kontrolle. Pigous Vorstellung1) vom Gleichlauf des »trade net product« mit dem »social net product«, woraus die Internalisierung externer Effekte wurde, setzt voraus, dass eine Instanz unter Berücksichtigung aller Vor- und Nachteile über die gesamte Ressource entscheidet. Nutzen mehrere dieselbe Ressource, besteht immer der Anreiz, die Übernutzung so weit zu treiben, bis der eigene Vorteil durch den eigenen Nachteil ausgeglichen wird. Die zusätzlichen Nachteile aller anderen werden nicht berücksichtigt. Wenn nun die Erdatmosphäre diese faktisch unteilbare Ressource ist, muss man sie als Ganzes einer einzigen Kontrollinstanz unterwerfen, die die Nutzung reguliert. Wer diese Instanz sein soll und nach welchen Maßstäben sie die Nutzungsrechte zuteilen soll, wäre völlig offen. Eine solche Kontrollinstanz ist derzeit nicht vorhanden und auch nicht geplant. Es kommen nur partikulare Maßnahmen in Betracht. Sie können zu internationalen Abkommen führen, die zu einer gemeinschaftlichen Kontrolle führen können.
2.2 Staatenwettbewerb
Betrachten wir die Alternativen, also vor allem Verbote, Lenkungssteuern oder Subventionen, stößt man ebenfalls auf Probleme. Solche Maßnahmen müssen von Staaten oder Staatenverbänden ausgehen. Von dieser Warte aus treiben nicht einzelne Kuheigentümer ihr Vieh auf die Weide, sondern Staaten lassen ihre Unternehmen gewähren, weil die Regierungen am Wohlstand der eigenen Nation interessiert sind. Dieser ist aber abhängig von entweder der Produktion im eigenen Land oder von finanziellen Zuflüssen aus dem Ausland, die vor allem auf dem Eigentum, dem geistigen Eigentum oder z. B. Zahlungen innerhalb der Familie, der Partizipation an der Wertschöpfung anderer, beruhen können.
In einem an Individualinteressen, der ökonomischer Nutzenmaximierung und Selbstverwirklichung orientierten System verstößt keiner gegen die ethischen Regeln des Zusammenlebens, wenn er keinen Verzicht übt.2) Mögliche Verbote werden als Öko-Diktatur oder Verbotskultur gebrandmarkt, die gegen die in einer Marktwirtschaft selten garantierte positive Freiheit verstoßen sollen. Solange keine konkreten Gefahren drohen (Waffen tragen, betrunken Auto fahren etc.) wird die Freiheit zu einem Tun in der Regel durch den Preis begrenzt. Wer nicht genügend finanzielle Mittel hat, muss auf Annehmlichkeiten verzichten, die er mit mehr Geld wahrnehmen könnte.
Die nationalen Regierungen reagieren deshalb kaum anders als der einzelne Kuheigentümer bei der Gemeindewiese, denn sie sind von den gleichen Motiven und Überlegungen geleitet. Sie müssen in der globalisierten Welt die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft gegenüber dem Rest sicherstellen. Es gibt nicht nur den Wettbewerb der Unternehmen, sondern den Standortwettbewerb der Staaten und Regionen untereinander, die versuchen Unternehmen mit möglichst unternehmensfreundlicher Gesetzgebung, Subventionen, Privilegien etc. im Inland zu halten und weitere anzusiedeln. In diesem race to the bottom gewinnen die Regionen, die bei im übrigen gleichartigen Bedingungen die niedrigsten Steuern, die größten Freiheiten und die niedrigsten Umwelt- oder Arbeitsstandards anbieten. Die unter Trump und den Republikanern durchgeführte Deregulierung erfolgte explizit mit der Begründung, Wettbewerbsnachteile durch Umweltschutzregeln insbesondere gegenüber China wieder auszugleichen. Allerdings ist das in der EU kaum anders, wenn es auch nicht so deutlich gesagt wird.
Die Emissionszertifikate der EU haben sich bislang faktisch als nutzlose Spekulationsobjekte herausgestellt, weil kein Mitgliedstaat soweit gehen wollte, dass ernsthafte Nachteile für die eigene Wirtschaft die Folge sein wird. Von den Wirtschafts- und Regierungsvertretern hört man stattdessen eine Variante eines Schwarzfahrerarguments: Wenn ich die Fahrkarte nicht bezahle, ist mein Vorteil groß, der Nachteil auf die große Masse verteilt aber gering. Mein Beitrag ist völlig irrelevant für die Kosten der Eisenbahn. Jeder Flugreisende kann sich sich darauf berufen, dass sein Anteil an der Klimakrise nahezu Null ist. Sein individueller Verzicht führt zu keiner Reduktion, ist mithin also sinn- und wirkungslos, da das Flugzeug mit oder ohne ihn fliegen wird. Seinen individuellen Nachteil schätzt er hingegen als groß ein, wenn er anstelle des Flugzeugs eine beschwerliche Reise mit einem anderen Verkehrsmittel wählt. Folglich kann man moralisch einwandfrei auch jede eigene Einschränkung als nutzlos und überflüssige Bevormundung ablehnen.
Jede Gesellschaft liefert Rechtfertigungen für das Tun der Gesellschaft, die die Maßnahmen und deren Sinnhaftigkeit erklären, so auch die marktwirtschaftlichen Gesellschaften. Das Credo der unsichtbaren Hand lautet: Nicht der Wille oder die Absicht, der Gemeinschaft etwas Gutes tun zu wollen, sondern im Gegenteil, das nackte Eigeninteresse ohne Rücksicht auf die Gesellschaft ist für die Gesellschaft am nützlichsten. Das Aggregat der eigennützigen Entscheidungen der Akteure, denen man möglichst großzügige Freiheiten gewähren soll, soll für die Gesellschaft das beste Ergebnis herbeiführen.3) In den ökonomischen Theorien ist als das objektive Ziel mehr Güter vorgegeben. Das volkswirtschaftliche Ziel ist nicht die sozial verträgliche Gestaltung eines möglichen Nullwachstums oder gar eines Rückgangs des Konsums, sondern das genaue Gegenteil. Die Bedürfnisse des Menschen sollen möglichst befriedigt werden, seien aber zugleich unersättlich. Mit diesem Axiom bieten die Wirtschaftswissenschaften praktisch überhaupt keine brauchbaren Hinweise, sondern formulieren und modellieren, wie man möglichst die Produktion weiter steigern kann. Wendet man die neoklassischen Methode auf die Neoklassik an, zeigt sich ein Systemfehler.
Ob Lenkungssteuern allein genügen, ist also fraglich. Steigen nur die nationalen Produktionskosten, führt das regelmäßig zur Verlagerung der Produktion in günstigere Regionen. Steigen die Kosten für die Produkte allgemein, kann dies zur Reduktion des Absatzes der betroffenen Produkte führen. Jedoch führen Lenkungsabgaben selten zu einer Reduktion des Konsums; sie lenken diesen nur in eine andere Richtung, wohin ist ungewiss. Ob es im Saldo besser ist, dass anstelle eines KFZ für 20.000 Euro 2.000 Artikel für 10 Euro zusätzlich produziert und verkauft werden, lässt sich im Vorhinein kaum bestimmen. Sinkt hingegen tatsächlich der Konsum, wird alles unternommen, um die Rezession zu vermeiden (es werden beispielsweise Abwrackprämien gezahlt); nachhaltige langlebige Produkte sind aus dieser Warte schädlich. Auch die theoretische Behandlung der Externalitäten hat nur den Zweck, die Produktivität in andere Wirtschaftszweige zu lenken, ohne das Ziel, mehr Güter zur Wohlstandsteigerung, in Frage zu stellen.
Nach den typischen Annahmen der Volkswirtschaftslehre kann eine geringfügige Verminderung der Wettbewerbsfähigkeit deutlichen Folgen haben. Die moderne Produktion zeichnet sich dadurch aus, dass die Produktionskapazität selten die Grenze des Ausstoßes ist, sondern der Absatz. Steigen die Preise der Hersteller eines Landes infolge von gewinnunabhängigen Lenkungssteuern, sinkt deren Absatz. Jedoch wird die Lücke durch andere Unternehmen geschlossen. Man hört dies bei Waffenverkäufen regelmäßig. Verkaufen nicht wir die Waffen an irgendwelche Regimes, die aus Gründen einen großen Waffenbedarf haben, machen andere das Geschäft. Das gilt im Grundsatz für alle gehandelten Waren. Wer in dieser Situation der Austauschbarkeit der Hersteller die nationalen Unternehmen besteuert, vermindert deren Absatz. Die Gesamtsituation wird dadurch nicht verbessert, sondern nur die Lage der eigenen Unternehmen, Arbeitnehmer einschließlich der Steuereinnahmen im Verhältnis zu anderer Staaten verschlechtert. Eine nationale Regierung (oder die EU) kann nur am Verbrauch ansetzen, was in- und ausländische Hersteller gleichermaßen trifft und wohl auch neue Handelsbarrieren zur Folge haben würde. Das würde konkret die Betriebe der Staaten am stärksten treffen, bei denen das besteuerte Produkt den größten Anteil an der Wirtschaft hat, also bei Kraftfahrzeugen etwa Deutschland, bei Verkehrsflugzeugen die Vereinigten Staaten und einige Staaten in der EU, bei Computerprodukten vermutlich China usw. Das wird mit einem langen Kampf im Interesse der jeweils eigenen Wirtschaft verbunden sein, weil jede Verhandlung wiederum von dem Ziel geleitet sein wird, im Interesse des Wohlstands der eigenen Nation möglichst nur den anderen Zugeständnisse abzuringen.
Der sich selbst regelnde Markt hat weder die Sklaven oder die Kinderarbeit, noch gefährliche oder gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen beseitigt, er ist genauso wenig in der Lage, Probleme der Umweltbelastung zu vermeiden oder zu vermindern. Polanyi etwa fasste zusammen, dass der »Mensch unter dem Titel Arbeit und die Natur und dem Titel Grund und Boden vermarktet« werden. In der Theorie werde die Fiktion, dass Arbeit und Boden zum Zweck des Verkaufs produziert und wie Waren gehandelt würden, stets aufrecht erhalten. Auf diese Art könne die Wirtschaft zwar organisiert werden. Jedoch ignoriere die Warenfiktion, dass die »Auslieferung des Schicksals der Erde und des Menschen an den Markt mit deren Vernichtung gleichbedeutend wäre.«4)