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MONOKULTUR Texte

Skript Metz (A) / Seeßlen (B) zu MONOKULTUR 6

<html> <p>A</p> <p>Lassen Sie uns beginnen mit einem Zitat von Claude L&eacute;vi-Strauss:</p> <p>B</p> <p><em>„Der K&uuml;nstler, der Einzelg&auml;nger sein will, wiegt sich in einer m&ouml;glicherweise fruchtbaren Illusion. Aber das Privileg, das er sich einr&auml;umt, ist in keiner Weise real. Auch wenn er meint, sich spontan auszudr&uuml;cken, ein originales Werk zu schaffen, erwidert er nur anderen Sch&ouml;pfern, sei es vergangenen oder gegenw&auml;rtigen, aktuellen oder potentiellen. Ob man es nun wei&szlig; oder nicht &ndash; auf dem Pfade der Sch&ouml;pfung wandert keiner je allein.&ldquo;</em></p> <p>A</p> <p>Wenn wir also &uuml;ber Kunst sprechen, dann in einer Wechselwirkung zwischen der fruchtbaren Illusion des einzelnen Sch&ouml;pfers auf der einen Seite und &uuml;ber das System von Erwiderungen auf vergangene, gegenw&auml;rtige oder, besonders spannend,

auf potentielle andere Sch&ouml;pfer.</p>

<p>B</p> <p>&Uuml;brigens w&auml;hlen wir das Wort Sch&ouml;pfung nicht blo&szlig; aus Respekt vor Claude L&eacute;vi-Strauss, auch nicht allein um eine Distanz zum allgegenw&auml;rtigen Dummwort &bdquo;kreativ&ldquo; zu schaffen, sondern um auf diese enorme dialektische

Spannung aufmerksam zu machen. Denn etwas sch&ouml;pfen hei&szlig;t ja zum einen immer auch etwas zum ersten Mal machen. Die G&ouml;tter haben die Welt geschaffen, nach einem eigenen Ur-Willen, sie haben sie nicht irgendwo nachgebaut, das w&auml;ren
ja sch&ouml;ne G&ouml;tter. Andrerseits gef&auml;llt uns, wenn wir nicht gerade Kreationisten oder sonst Fundamentalisten sind, derzeit wohl auch die Vorstellung, jeder Sch&ouml;pfungsakt k&ouml;nne auch als einer unter unendlich vielen betrachtet werden,
jede Wirklichkeit also nur eine von vielen m&ouml;glichen Wirklichkeiten, und alles, was in Verschiedenheit und in hinreichender Quantit&auml;t vorhanden ist, kann auch in Beziehung zueinander gesetzt werden.</p>

<p>A</p> <p>Kurzum, der Akt der k&uuml;nstlerischen Sch&ouml;pfung ist ein Widerspruch in sich, vollkommen unaufl&ouml;sbar und zugleich vollkommen wirklich. Und das ist auch gut so. Kunst ist das Unm&ouml;gliche, das nachweisbar gemacht wird. Deshalb ist alles,

was je &uuml;ber die Kunst im allgemeinen und das einzelne Kunstwerk im besonderen gesagt werden kann, irgendwie richtig und zugleich irgendwie falsch. K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler k&ouml;nnen entweder &uuml;ber ihre eigene Kunst lachen, wie
sie das gerne in B&uuml;chern von Herbert Rosendorfer machen, oder sie k&ouml;nnen sie so ernst nehmen, als handele es sich mindesten um eine Art Gottesdienst mit sich selber als Gott, Gemeinde und Priester. Daran, dass sich sehr verschiedene Pfade
kreuzen m&uuml;ssen, damit Kunst und Gesellschaft sich auf eine angemessene Art begegnen k&ouml;nnen, &auml;ndert das nichts.</p>

<p>B</p> <p>Wenn wir indes behaupten, dass zwei widerspr&uuml;chliche Dinge zugleich m&ouml;glich sind, hei&szlig;t das noch lange nicht, dass man sie vollkommen beliebig oder gar rein strategisch einsetzen k&ouml;nnte. Ganz im Gegenteil! Wenn Bob Dylan wei&szlig;,

wie ehrlich man sein muss, wenn man sich entschlie&szlig;t, au&szlig;erhalb des Gesetzes zu leben, dann sollte der Kunstkritiker von Rang zumindest wissen, wie genau man beobachten und argumentieren muss, wenn es keine allgemein verbindlichen End- und
Eckpunkte der Diskurse gibt. Wenn der Kritiker nicht gen&uuml;gend sieht, empfindet, denkt, dann sieht, empfindet, denkt das Vermarktungs- und Medialisierungsinteresse f&uuml;r sie oder ihn.</p>

<p>A</p> <p>Diese Vorbemerkungen reichen, was uns betrifft, als Kunsttheorie v&ouml;llig aus. Von hier aus kann man zur Praxis gehen, und das hei&szlig;t in unserem Fall zu der Beziehung zwischen jeweils drei Systemen auf der Produktionsseite wie auf der anderen

Seite, der der Adressaten. Wir sprechen von Adressaten, weil wir uns weigern von Konsumenten und Kunden zu sprechen.</p>

<p>B</p> <p>Kunstproduktion, Kunstbetrieb und -diskurs, und Kunstmarkt auf einen Seite. Gesellschaft, Kritik und &Ouml;konomie auf der anderen Seite.</p> <p>A</p> <p>Man kann sich jedem dieser Elemente auf verschiedene Weise n&auml;hern. Kunstproduktion? Alles Quatsch, fr&uuml;her war alles besser oder: aufregendes Geschehen trotz allem, das n&auml;here regelt die Einzelfallpr&uuml;fung. Kunstbetrieb? Ahja, da war

doch die Theorie von der artworld, die als Parodie der kulturellen Elite &uuml;ber Werte und Unwerte entscheidet und eine nahezu absolute Herrschaft &uuml;ber Wert und Wirkung erwirkte. Heute ist vielleicht die gegenteilige Behauptung aufzustellen:
Die Artworld hat ihre bizarre Autonomie verloren und ist nur noch ein Anh&auml;ngsel des Kunstmarkes. Die Gesellschaft? Voll auf dem Verbl&ouml;dungs- und Verrohungstrip. Oder haben Sie vielleicht schon mal versucht, mit einem Pegida-Anh&auml;nger wahlweise
&uuml;ber Leonardo oder den Situationismus zu sprechen? Seit der Moderne sp&auml;testens gibt es zwischen Gesellschaft und Kunst auch eine Geschichte der wechselseitigen Kr&auml;nkungen. Und zu den Gekr&auml;nkten, so scheint es, geh&ouml;rt mittlerweile
auch der Rest der alten bildungsb&uuml;rgerlichen, progressistischen und liberalen Zivilgesellschaft, die sich vor nicht allzu langer Zeit durch ihre Kunstsinnigkeit einen von den kleinen Unterschieden verschaffte, von denen Pierre Bourdieu in seiner
Untersuchung &uuml;ber Klassen und Distinktionsgewinne spricht. Kurzum: Die Architektur der Beziehungen von Kunstproduktion, Artworld und Markt auf der einen Seite und von Gesellschaft, Kritik und &Ouml;konomie auf der anderen Seite haben sich drastisch
ge&auml;ndert. Der Dialog aber hat mit dieser Ver&auml;nderung nicht Schritt gehalten. Vieles von unserem &ouml;ffentlichen Sprechen &uuml;ber Kunst dient klammheimlich der Verdr&auml;ngung dieser Ver&auml;nderung.</p>

<p>B</p> <p>Eine sehr einfache Beobachtung: Wenn sich die Gesellschaft in ihren Ordnungen, Diskursen, Werten, Dispositiven und Bewegungen ver&auml;ndert, dann wird sich entweder die Kunst auch &auml;ndern, oder aber sie wird sich neue Adressaten suchen. Dieser Adressat,

jetzt wird es kompliziert, ist in sich wieder dreigespalten. Es ist</p>

<p>A</p> <p>Erstens der Mensch, der Kunst <u>gebrauchen</u> kann, der an Kunst und in ihr w&auml;chst, der in der Auseinandersetzung mit ihr einen Weltgewinn und eine Ichst&auml;rkung findet. &Uuml;brigens vollkommen unabh&auml;ngig davon, wieviel auch hier Illusion

oder Missverst&auml;ndnis im Spiel ist. Es ist der Mensch, der emotionale und intellektuelle Beziehungen zu Kunstwerken und Kunstwelten aufbaut.</p>

<p>Zweitens der Mensch, der Kunst einbaut in die Ordnungen und Ornamente, der Museen errichtet und F&ouml;rderprogramme ausrichtet, der in Schulen unterrichtet und Politik mit und f&uuml;r Kunst macht. Der Mensch, der Kunst <u>verwaltet</u>, archiviert,

sichtbar macht oder nicht. Es ist der Mensch, der mit Kunst umgeht und sie vom individuellen zum gesellschaftlichen Wesen bringt.</p>

<p>Drittens: Der Mensch, der Kunst <u>kauft</u>. Aus welchem Grund auch immer. Der Mensch, der f&uuml;r die &Ouml;konomie der Kunst sorgt, aus eigenem Interesse oder im Auftrag. Der Mensch, der die Kunst immer auch nach ihrem Rendite-Wert befragt und auf

diesen Wert Einfluss nehmen will.</p>

<p>Dreimal existiert das Kunstwerk als Gegenstand, Aussage und Wert. Und dreimal auf ganz und gar unterschiedliche Weise.</p> <p>B</p> <p>Die politische &Ouml;konomie der Kunst basiert auf der Beziehung dieser drei Formen der Adressaten. Im Idealfall sollten sie in der artworld, im Kunstbetrieb nicht blo&szlig; eine Elite, sondern vor allem eine Art der Repr&auml;sentation, eine Form des

im weitesten Sinne demokratischen Resonanz- und Verst&auml;rkungsinstruments haben. In wenig gl&uuml;cklicheren Zeiten darf man schon zufrieden sein, wenn die artworld kein geschlossenes System des top down-Diskurses der Experten ist. Ein Eliteverein
der sich dar&uuml;ber kaputtlacht, wie ernst er vom Rest der Welt genommen wird. Denn in jedem Beziehungsgeflecht gibt es Machtknoten und Entscheidungsarchitekturen. Die Frage Wem geh&ouml;rt die Kunst? und die Frage: Was bedeutet die Kunst? wird also
unentwegt neu gestellt. Abh&auml;ngig davon wie die Machtknoten und Entscheidungsarchitekturen beschaffen sind. Selbst wenn die Kunst bedingungslos frei w&auml;re, was sie nicht ist, und wenn die Adressaten bedingungslos frei w&auml;ren, was sie ebenfalls
nicht sind, w&auml;re die Verbindung zwischen beiden doch stets Ausdruck von diskursiver, &ouml;konomischer und politischer Macht. Die Utopie in diesem Spiel lautet: Kunst und ihre Adressaten sorgen gegenseitig f&uuml;r ihre Freiheit. Die Dystopie dagegen
lautet: Kunst und ihre Adressaten k&ouml;nnen sich nur in einem Raum treffen, den Interessen von &ouml;konomischer und politischer Macht bilden. Die Realit&auml;t besteht darin, Kompromisse zwischen beidem zu suchen.</p>

<p>A</p> <p>W&uuml;rden wir streng marxistisch argumentieren, dann w&auml;re nur zu klar, dass eine ver&auml;nderte politische &Ouml;konomie auch die, sagen wir, Inhalte der Kunst (das gro&szlig;e Work in progress der unz&auml;hligen Sch&ouml;pfungsakte, von denen

&uuml;brigens, wie in der Natur, etliches nur dazu da ist, um gr&uuml;ndlich und performativ schiefzugehen), dass sie die Kunstwerke selber ver&auml;ndern m&uuml;sste. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, warum sollte es ausgerechnet bei K&uuml;nstlerinnen
und K&uuml;nstlern bzw. bei Adressaten und Adressatinnen anders sein. Aber da wir zu allzu strengem Marxismus nun auch wieder nicht verpflichtet sind, k&ouml;nnen wir eher beobachten: Es sind ziemlich komplizierte Beziehungen zwischen der politischen
&Ouml;konomie und der &Auml;sthetik. Und ganz bestimmt verh&auml;lt es sich nicht so, dass weil jemand Wichtiges aus der Artworld Sehschwierigkeiten hat, ein Trend zur Unsch&auml;rfe ausgerufen wird. Denn es geh&ouml;rt zu den Privilegien von K&uuml;nstlern
und Adressaten, die Umst&auml;nde ihrer Begegnung zu reflektieren und mit den jeweiligen Mitteln in sie einzugreifen.</p>

<p>B</p> <p>Es war das Ideal der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft, in der Kunst zugleich und in harmonischer Balance &ouml;konomischen, kulturellen und politischen Wert haben sollte, dass die drei Adressaten, der Betrachter, der Vermittler und der K&auml;ufer, eng

miteinander verflochten und in regem Austausch miteinander am Werk waren. Daraus entstand ein Verteilungsprojekt der Kunst, der vom m&auml;zenatischen Salon &uuml;ber den sonnt&auml;glichen Gang ins Museum bis zum Picasso-Druck im Kinderzimmer reichte.
B&uuml;rgerlich sein hei&szlig;t, Anteil an Kunst haben. Und umgekehrt hei&szlig;t Anteil an Kunst haben, b&uuml;rgerlich werden. Es kommt nun allerdings noch einmal darauf an, ob wir b&uuml;rgerlich in Bezug auf den Citoyen, den republikanischen, aufgekl&auml;rten
und liberalen Staatsb&uuml;rger meinen, der m&ouml;glicherweise auch Unruhe stiften und Revolten durchf&uuml;hren kann, oder in Bezug auf den Bourgeois, der vor allem seinen Besitz mehren und verteidigen will und Unruhe sogar in der Kunst zutiefst verabscheut.
&Ouml;konomischer, kultureller und politischer Wert der Kunst aber sind nun auseinander gebrochen und bewegen sich immer weiter auseinander.</p>

<p>A</p> <p>Was wir unschwer feststellen k&ouml;nnen in der Entwicklung seit den achtziger Jahren, genau genommen seit den ersten gro&szlig;en Krisen der kapitalistischen Demokratie in den westlichen Zentren, oder seit dem Beginn dessen, was damals noch nicht so

eindeutig &bdquo;Neoliberalismus&ldquo; gehei&szlig;en wurde, sondern eher freie statt soziale Marktwirtschaft, dass sich die Bedingungen der Produktion, der Konsumtion und der Vermittlung von Kunst stark ge&auml;ndert haben, vor allem aber, dass sich
die politische &Ouml;konomie der Kunst ge&auml;ndert hat. Um es zun&auml;chst sehr einfach zu sagen: Die R&auml;ume, in denen sich Kunst und ihre Adressaten begegnen, sind mehr denn je von &ouml;konomischen und politischen Machtinteressen bedingt, daf&uuml;r
um so weniger von kulturellen und sozialen Codes bestimmt. Es herrschen zugleich formale Freiheit und &ouml;konomische Erpressung.</p>

<p>B</p> <p>Auf der ersten Ebene machte die Kunst nat&uuml;rlich ganz einfach genau das durch, was der Rest der Kultur in der neoliberalen Gesellschaft auch durchmachte. Die Privatisierung der &ouml;konomischen Organisation, die Globalisierung der M&auml;rkte, die

Beschleunigung der Ums&auml;tze von Tauschprozessen, die Erosion der &ouml;ffentlichen R&auml;ume, die immer auch R&auml;ume der Kunst waren, die Versch&auml;rfung der Wettbewerbe, die Verlagerung der Macht auf immer weniger Zentren, die stetig weiter
aufgehende Schere zwischen arm und reich, die bedingungslose Idealisierung der Gewinner, die Konkurrenz um Standortvorteile und Steuerersparnisse, Medialisierung und Digitalisierung usw. Jede K&uuml;nstlerin, jeder K&uuml;nstler erlebt auf die eine
oder andere Weise diese &ouml;konomischen Prozesse.</p>

<p>A</p> <p>Allerdings, die bildende Kunst erlebte etwas, was keiner anderen Kunstform widerfuhr, n&auml;mlich die Entdeckung des Kunstwerkes als Kapital. Und wir meinen damit nicht allein als Kapital<u>anlage</u>, also in der Form eines Besitzes, in dem Kapital

zur Ruhe gebracht und gegen die Zeit gesichert werden kann, wie Schmuck oder Gold, sondern als reines Kapital, also als ein ununterbrochener Kreislauf von Wertsch&ouml;pfung. In einer bestimmten Sph&auml;re ist das Kunstwerk nicht einfach nur Geld wert,
sondern es ist selber eine Form von Geld. Kunst geh&ouml;rt zu den Magneten eines &Uuml;berschusskapitals auf der Sache nach Verwertung. So musste der Kunstmarkt zu einem Seitentrakt des Kapitalmarktes werden, als Auffangbecken f&uuml;r das Kapital,
das sich nicht reinvestieren und nicht anlegen l&auml;sst, und das m&ouml;glicherweise auf der Flucht ist, vor der Steuer oder vor dem Verbrennen. Die Erhitzung dieses Parallelmarktes ist offensichtlich weitgehend auch politisch gewollt, was an der
Steuer- und Erbschaftsgesetzgebung ebenso abzulesen ist wie an der gro&szlig;z&uuml;gigen Deregulierung.</p>

<p>B</p> <p>Kapital und Bildende Kunst gingen eine innige Verbindung ein, die nun nicht mehr allein diesen Parallelmarkt betrifft, der sich als gro&szlig;es Experimentierfeld f&uuml;r die k&uuml;nfitge Organisation von M&auml;rkten der Kreativwirtschaft entpuppt.

Die f&uuml;nf verschiedenen und miteinander verbundenen Abh&auml;ngigkeiten sind:</p>

<ol>

<li>
  <p>A</p>
  <p>Die Metapher. Manager lieben es, sich als K&uuml;nstler zu verstehen, die K&uuml;nstler als Vorbilder oder als Abbilder, wie man es nimmt. Der &Ouml;konomie-Jargon ist durchsetzt von Kunst-Metaphern. Man findet sich in einer Zauberformel vom Kreativen.
    Kreativit&auml;t ist das Zentrum dessen, was Gernot B&ouml;hme den &bdquo;&auml;sthetischen Kapitalismus&ldquo; nennt, eine Form, in der keine anderen Ressourcen mehr wirklich Wachstum generieren k&ouml;nnen au&szlig;er eben dieser, der Kreativit&auml;t,
    der Produktion von Formen, Ideen und Phantasien. Der &auml;sthetische Kapitalismus ben&ouml;tigt die Kunst dringend als Motor. Aber: Er ben&ouml;tigt eine bestimmte Art von Kunst.</p>
</li>
<li>
  <p>B</p>
  <p>Die Mythisierung. Soziologische Untersuchungen in Frankreich haben gezeigt, dass die so genannten Kreativen, vor allem aber K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler dazu benutzt werden, prek&auml;re Arbeits- und Lebensbedingungen zu akzeptieren bzw, akzeptabel
    zu machen. Es wird ein Image erzeugt, was etwa an die Stelle von fr&uuml;heren romantischen Boh&egrave;me-Klischees andockt, zugleich aber auch an Aufstiegsgeschichten von Silicon Valley oder dem Pop-Business, vom Leben in einer Szene, deren materielles
    Elend seine Kompensation in Freiheit und Lust findet, bis der erw&auml;hlte Mensch aufsteigt und zu Ruhm und Reichtum kommt.</p>
</li>
<li>
  <p>A</p>
  <p>Die Rendite. Die Kunst wird die gro&szlig;e Metapher der Wertbestimmung auf einem neoliberalen Markt. Auch auf einer der so genannten Affordable Art Fairs wird das Verkaufsgespr&auml;ch sich weniger um &auml;sthetische Fragen als um m&ouml;glich Wertsteigerungen
    und Marktchancen drehen. Die Banken haben in Art Loans und anderen Verkn&uuml;pfungen den Kunstmarkt in einem von au&szlig;en schwer zu erkennenden Ma&szlig; &uuml;bernommen und l&auml;ngst eigene Abteilungen daf&uuml;r installiert.</p>
</li>
<li>
  <p>B</p>
  <p>Fetischisierung des Solit&auml;r. Geld und Kunst sind insofern miteinander verwandt, als beide eine direkte Gleichung von Zeichen und Wert aufmachen, ohne den Umweg &uuml;ber andere Wertbestimmungen von Material, Arbeit oder Geschichte. Geld und Kunst
    folgen dem Prinzip, unendliche Prozesse des Vergleichens zu er&ouml;ffnen, selber aber mit nichts verglichen werden zu k&ouml;nnen, au&szlig;er mit sich selbst. Das Kunstwerk ist die Superware, die nur einen Besitzer haben kann. Und es ist die Luxusware
    in einem Status, da sehr viele traditionelle Luxuswaren an Wert und Exklusivit&auml;t verlieren.</p>
</li>
<li>
  <p>A</p>
  <p>Schaffung von Indifferenzzonen. Dazu geh&ouml;rt, nur zum Beispiel, Kunst als Bestechung, Kunst-Events als inoffizielle Verhandlungsorte, St&auml;dteplanung und Aufwertung von urbanen Prozessen, die Inszenierung von gesellschaftlichen Ereignissen,
    aber auch, das ist ein zunehmender Anteil, und wenn man ein wenig herumkommt in der Welt, ist leicht zu sehen, dass dieser Aspekt enorm an Bedeutung gewinnt, der performativen Zensur, der populistischen Geste, der Nationalisierung der Kunst-Diskurse
    und der Standorte, disparate Dinge wie die Restitution, die Provenienzforschung oder auch die Expertisen erweisen sich bei n&auml;herem Hinsehen immer als Erz&auml;hlungen mit anderem Hintergrund. Kunst ist ein Vorwand zum Tausch zwischen &ouml;konomischer
    und politischer Macht. Die Kapitalisierung der Kunst hat ihren Charakter als politische Metapher zwar ver&auml;ndert aber nicht abgeschafft. Es wird also nicht so sehr Politik f&uuml;r die Kunst gemacht, als dass Politik mit der Kunst gemacht wird,
    wenn vielleicht hierzulande auch nicht mehr so drastisch wie in den f&uuml;nfziger Jahren, als es sogar eine Verkn&uuml;pfung von Kunst und Geheimdiensten zum Zweck der Propaganda und Beeinflussung gab.</p>
</li>

</ol> <p>B</p> <p>Wir haben es also, das ist ein entscheidender Unterschied, nicht mit einer schieren &Ouml;konomisierung der Kunst zu tun. Jede Produktion, auch eine &auml;sthetische Produktion, bedarf einer &Ouml;konomie. K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler sollen von

ihrer Produktion leben, und sie sollten auch verdammt noch mal nicht schlecht davon leben. Wie Sie alle nur allzu gut wissen, ist aber genau das Gegenteil der Fall. Der Anteil der Menschen, die von Kunst leben k&ouml;nnen und noch viel drastischer der
Anteil jener, die davon &uuml;ber rein prek&auml;re Lebensverh&auml;ltnisse leben k&ouml;nnen, sinkt dramatisch. Man k&ouml;nnte einwenden, diese Entwicklung w&auml;re auch in anderen K&uuml;nsten zu beobachten: Welcher Autor, welche Autorin kann schon
von ihren B&uuml;chern leben, welche Musiker von ihrer Musik? Doch es d&uuml;rfte wohl, vom professionellen Lotteriespielen einmal abgesehen, kaum einen Bereich geben, in dem die Umsatz- und Gewinnzahlen in solch krassem Missverh&auml;ltnis zum Einkommen
der realen Produzenten stehen. &Uuml;brigens zeigt ein genauer Blick, dass selbst diejenigen K&uuml;nstler, die als gro&szlig;e Gewinner gelten und sich subjektiv &uuml;ber ihren Kontostand gewiss nicht beklagen k&ouml;nnen, objektiv, also im Verh&auml;ltnis
zu den Umsatzzahlen des Kunsthandels, an Einkommensanteil verloren haben. Die cleversten von ihnen steigen deswegen auch gern selbst in den boomenden Kunsthandel ein. Ansonsten gilt f&uuml;r die Kunstproduktion das gleiche wie f&uuml;r andere Produktionen:
Die Kapitalisierung der Produktion bedeutet die Entwertung der prim&auml;ren Arbeit. Die Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Kunstmarkt genau an jenen Orten am meisten, wie man so sagt: explodiert, wo in der Gesellschaft die Schere
zwischen arm und reich besonders stark aufgeht. Das leuchtet nat&uuml;rlich sofort ein, weil auf diese Weise besonders viel nicht reinvestiertes Kapital entsteht. Tats&auml;chlich aber erwies sich der boomende Kunstmarkt sogar als ein Mittel, diese
Schere wiederum weiter aufgehen zu lassen. Und sie geht auch und besonders dramatisch in der Kunstwelt selber auf. Kapitalisierung der Kunst bedeutet strukturelle Verarmung der K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler.</p>

<p>A</p> <p>Wenn wir &ouml;konomisch argumentieren, gibt es nur einen, freilich von der Produktion glamour&ouml;ser Million&auml;rsaufsteigergeschichten und genau so glamour&ouml;sen Super-Events der Kunstwelt &uuml;berlagerten Schluss: Die Kapitalisierung der Kunstwerke

entspricht einer Absenkung der politischen &Ouml;konomie der Kunst. Dass dieser Umstand, der unleugbar aber schwer nachzuweisen ist, so schlecht mit Zahlen zu belegen ist, h&auml;ngt im &uuml;brigen damit zusammen, dass Transparenz und Ehrlichkeit auf
dem Kunstmarkt so ausgepr&auml;gt sind, dass die Deutsche Bank dagegen das offene Buch ehrbarer Kaufleute ist.</p>

<p>B</p> <p>Die Kapitalisierung der Kunst bedeutet schlie&szlig;lich eine Enteignung und Entmachtung der Mehrheit der K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler, zugunsten einiger Gewinner, gewiss, viel mehr aber zugunsten einer auch rechtlich immer privilegierteren H&auml;ndler-,

K&auml;ufer- und Besitzerschicht, die ihrerseits immer st&auml;rkere Vernetzungen und Abschottungen vollf&uuml;hrt, und die, wie in den USA mittlerweile schon vor Gericht aufgrund von Gewinnerwartungen Rechte an noch gar nicht produzierten Werken geltend
machen kann, wenn die entsprechenden Vertr&auml;ge vorzuweisen sind. Man kann durchaus, wie es manche Kritiker tun, bei der Machtverschiebung von den Urhebern auf die K&auml;ufer von einer neuen Form von Auftragskunst sprechen. Aber die Kapitalisierung
geht einen Schritt weiter. Sie verlangt, vollkommen legal und nach und nach in die Vertragspraxis im Mainstream einsickernd, die Produktion einer Ware, die den Gewinnerwartungen des K&auml;ufers zu entsprechen hat. Wenn ein Maler, dessen Kreise Millionenpreise
erzielen, pl&ouml;tzlich auf die Idee kommen sollte, Vierecke zu malen, kann ihn das nicht nur seine Kundschaft kosten, sondern auch Schadenersatzprozesse, die ihn oder sie um die Existenz bringen. Mit dem Boom haben sich K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler
einen Grad an &ouml;konomisch-legaler Erpressbarkeit eingehandelt, den es zuvor nie gegeben hat. Auf diese Weise wird, das ist etlichen durchaus popul&auml;ren K&uuml;nstlern schmerzhaft bewusst geworden, durch Kapitalisierung und Machtverschiebung
der Erfolg auf dem Kunstmarkt beinahe noch gef&auml;hrlicher als der Misserfolg. Er erweist sich als Falle, aus der man so leicht nicht mehr herauskommt, zumal die artworld mittlerweile nicht nur von den Banken, sondern auch von einem System spezialisierter
Rechtsanw&auml;lte durchsetzt ist. Jedenfalls wird in der Kunstwelt auch der gr&ouml;&szlig;te neoliberale Mythos heftig entlarvt, n&auml;mlich der, dass &ouml;konomischer Erfolg gleichbedeutend mit Freiheit ist.</p>

<p>A</p> <p>Diese Entwicklung, gewiss, sehen wir bei uns erst in Anf&auml;ngen. Die Machtverschiebungen von Kunstbetrieb, Kunstmarkt und Kunstdiskurs gehen etwas langsamer vor sich als zum Beispiel in den angels&auml;chsischen L&auml;ndern und ihren extrem Besitzerfreundlichen

Rechtsprechungen. Aber vielleicht kann auch der unkritischere Teilnehmer an diesem Geschehen einmal dar&uuml;ber nachdenken, was es bedeutet, dass die einzige &uuml;berhaupt noch im medialen Mainstream ankommende Nachricht aus der Kunstwelt eine Liste
der m&auml;chtigsten Player in ihr darstellt, woraus sich dann noch jeder seine spezifische Botschaft ausfiltert: Wie viele Deutsche sind in der Kunstwelt m&auml;chtig, wieviele Frauen sind es, wieviel K&uuml;nstler und wieviel Kuratoren usw? Redaktionen
gratulieren ihren Kolumnisten &ouml;ffentlich, wenn sie es in diese Liste geschafft haben. Die artworld verhandelt kaum noch den Wert der Kunst f&uuml;r die Gesellschaft, daf&uuml;r aber intensiv die eigene Machtverteilung. Wenn wir auf der einen Seite
auf Rekordsummen von Auktionen und Verk&auml;ufen und auf der anderen Seite auf Power Ranking in der Kunst-Szene starren m&uuml;ssen, werden wir uns wohl &uuml;ber eine demokratische, offene und faire Beziehung zwischen den Produzenten und den Adressaten
sowie zwischen den drei Adressaten-Gruppen der Kunst keine Illusion machen. In dieser sonderbaren Szenerie haben wir uns daran gew&ouml;hnt, in der Kunst eine Aneignung von Reichtum zu bestaunen; im Powerranking nun m&uuml;ssen wir erkennen, dass Kunst
offenbar vor allem dem Ausdruck der Machtverh&auml;ltnisse in ihrer Fabrikation und Vermarktung darstellt. Und in diesem Powerranking f&uuml;hrt die artworld, sollten wir sagen: schamlos, wie sie nun einmal ist, vor allem dem prim&auml;ren Adressaten
seine Ohnmacht, ja seine Unerheblichkeit vor Augen. Unn&uuml;tz zu sagen, dass dies einen erheblichen Verlust an potentiellen Adressaten zur Folge hat. Mit der &ouml;ffentlichen Bindung an Reichtum und Macht verliert die Kunst ein wesentliches Segment
ihrer Zukunft. Weder mit einer Kunstmarkt- und Oligarchenkunst noch mit Powerranking und Selbstverst&auml;rkung der Artworld kann eine demokratische Zivilgesellschaft noch wirklich etwas anfangen.</p>

<p>B</p> <p>Tats&auml;chlich also befinden wir uns auch auf dem Kunstmarkt auf dem dritten Level der Neoliberalisierung. Argw&ouml;hnten wir n&auml;mlich eine Zeit lang, es ginge in der Kunst nur noch um Geld, sind wir schon eines besseren belehrt. Es geht auch,

vielleicht sogar mehr noch um Macht. Auch hierf&uuml;r haben wir in der Kritik schon ein gewisses Stereotyp aufgebaut. Wir sprechen von einer Neo-Feudalisierung. Das hei&szlig;t: Die Kunst wird nicht nur im Auftrag der Oligarchien hergestellt, sondern
auch zu dem Zweck, deren Macht zu verst&auml;rken.</p>

<p>A</p> <p>Jede Form von Kapitalisierung produziert Verarmung auf der anderen Seite. Die Kapitalisierung der Kunst vollzog sich gewiss nicht zuf&auml;llig parallel zu den Krisen anderer Verwertungsm&ouml;glichkeiten; eine geraume Zeit galt sogar die Parole, der

Kunstmarkt sei der einzige, der ausschlie&szlig;lich Wachstum produziere und keine Blasen bilde, weil er nicht nur aus keinem anderen Rohstoff als der Phantasie der prim&auml;ren Produzenten und antizyklisch wirke, sondern mit dem Selbstverst&auml;ndnis
der neuen &ouml;konomischen Eliten verkn&uuml;pft w&uuml;rde und damit vollkommen virtuell. Der Kunstmarkt bindet genau so viel Kapital, wie Kapital verschwinden soll. Und er erzeugt so viel Rendite, wie sich &Uuml;berschusskapital zirkulieren l&auml;sst.
Man kann auch sagen: Den Kunstmarkt kann man nachgerade nach Belieben manipulieren, er ist das Experimentierfeld zuk&uuml;nftiger virtueller und definitiv nicht freier M&auml;rkte. Er hat in den wenigen Jahren seines Super-Booms Mechanismen entwickelt,
die ihn der Kritik und der Kontrolle entziehen. Und er profitiert davon, dass sein Material, die Kunst, auf eine eher vage Art immer noch als etwas Gutes gelten darf, sagen wir: im Unterschied zu Drogen, Waffen oder modernen Sklaven.</p>

<p>B</p> <p>Der Sog der Privatisierung dagegen schafft immer neue Felder einer solchen Kapitalisierung. Der Staat zieht sich nach und nach aus seiner Verantwortung f&uuml;r die Kunst zur&uuml;ck, oder genauer gesagt aus seiner Verantwortung f&uuml;r ein faires und

demokratisches Verh&auml;ltnis zwischen Kunst und Gesellschaft. Kunstsch&auml;tze werden ver&auml;u&szlig;ert, Ank&auml;ufe reduziert, private Sammlungen mit eigenen Bauten geehrt. Auch auf dem Kunstmarkt ist nur zu deutlich, dass die Profite privatisiert
werden, die Kosten aber der Gesellschaft bleiben. So f&auml;llt es einer populistischen Kritik leicht, gegen die F&ouml;rderung einer Kunst zu wettern, mit der man nichts zu tun hat, und die unten Kosten verursacht und oben Millionengewinne abwirft.
Nur durch die Einbindung in den St&auml;dtetourismus legitimiert sich diese Kunst, und als schon allseits beklagtes Mittel der Gentrifizierung. Kunst wird nicht nur teuer, sie macht auch ihr Umfeld teuer. Ihr Schicksal scheint in einer Verschmelzung
mit der so genannten Kreativwirtschaft zu liegen. Sie soll, mit anderen Worten, nicht nur Wachstum generieren, sondern sieht sich auch zur &ouml;konomischen Waffe umgeformt.</p>

<p>A</p> <p>Auf diese Weise w&auml;chst der Kunstmarkt noch immer weiter, obwohl keine wirklichen Neuerungen mehr stattfinden und keine neuen Ideen, Diskurse und Phantasien entstehen. Was Kunstmarkt-Kunst ist, das ist schon so bekannt und sogar berechnet, bis hin

zu Format, Farbwahl und K&uuml;nstlerlegende: Man k&ouml;nnte jederzeit einen Kunstmarkt-affinen K&uuml;nstler komplett mit Biographie und Werkverzeichnis aus all den Ranking und Ratings zusammenstellen, oder gleich von einem Algorithmus herstellen
stellen, die hier so im Lauf eines Jahres verschleudert werden, wenn dieser Markt nicht so extrem allergisch gegen alles reagieren w&uuml;rde, was er nicht selber hervorgebracht hat. Eine wesentliche Aufgabe der artworld in diesem Stadium liegt darin,
die &ouml;konomische Entwicklung voranzutreiben, und die &auml;sthetisch-diskursive Ver&auml;nderung zugleich zu unterbinden. Die Dreiteilung des Kunstmarktes, in das Segment der abgehobenen Millionen- und Rekordpreise, das Segment einer Sammler-basierten
und von der artworld akzeptierten, von Besserverdienenden erwerbbaren Mittelklasse und den Avantgarde- und Punk-Anteil des so genannten Garagen-Sektors funktioniert f&uuml;r sich weder &ouml;konomisch noch kulturell in einer hochgradig manipulativen
und hegemonialisierten Szene.</p>

<p>B</p> <p>Die Exaltationen dieses Marktes, all diese Siegerkunst, neue Auftragskunst, Marktkunst, Oligarchenkunst, neofeudalistische Malerei - alles Begriffe, die schon gang und g&auml;be sind, ohne dass eine wirklich analytische Kritik entst&uuml;nde, diese Hype-

und Christie&rsquo;s und Sothebys-Kunstblase, sie hat f&uuml;r den Mainstream einen gewissen Unterhaltungswert. Und sie f&uuml;hrt zugleich zu einer radikalen Entfremdung. Die meisten Menschen sind sich dar&uuml;ber im Klaren: Diese Kunst geh&ouml;rt
nicht zu meiner Welt, sie hat mir nichts zu sagen, sie ist Ausdruck von Macht und Reichtum, aber auch von Wahnsinn und Bosheit.</p>

<p>A</p> <p>Damit sind wir bei einer mittelgro&szlig;en Erz&auml;hlung, die davon ausgeht, dass dieses exaltierte Rekord- und Fetischverhalten schlie&szlig;lich nicht mit der Kunst, im Grunde nicht einmal mit dem Kunstmarkt identisch sei. Lass die Superreichen ihre

Kunstspiele treiben, wir haben regionale Szenen, wir haben Affordable Art, wir haben preiswerte Drucke, wir gehen ins Museum auch dann, wenn nicht gerade wieder eine Blockbuster-Ausstellung alle Rekorde brechen muss.</p>

<p>B</p> <p>Wir haben die M&ouml;glichkeiten der Trennung des Kunstmarktes in einen verr&uuml;ckten und in einen normalen Bereich auf drei Ebenen zu verfolgen versucht:</p> <ol>

<li>
  <p>A</p>
  <p>In der Kunstpublizistik und damit im gesellschaftlichen Diskurs von Kunst. Ergebnis: Diese Publizistik ist hoffnungslos infiziert, in vielen Bereichen pers&ouml;nlich korrumpiert, sie pendelt zwischen zwei Extremen, n&auml;mlich dem unwiderstehlichen
    Geruch von Geld und Glamour auf der einen Seite und dem fast genauso unwiderstehlichen Sog des Mainstreaming und der Event-Akklamation auf der anderen Seite. Auf diese Weise tritt die Kunstpublizistik, wenn sie &uuml;berhaupt noch jenseits des Kunstmarkts
    existiert, auf der Stelle. Eine lebendige Auseinandersetzung und die Suche nach neuen unabh&auml;ngigen Orten und Formen findet kaum noch statt.</p>
</li>
<li>
  <p>B</p>
  <p>Im Verhalten von Banken und Firmen, die mit Kunst besch&auml;ftigt sind, sei es als K&auml;ufer, sei es, vor allem als Kreditgeber, Makler oder Experten. Ergebnis: Die Kapitalisierung der Kunst, die bereits sehr viel mehr in den H&auml;nden von Banken
    liegt, als sich gew&ouml;hnliche Kunden von Galerien und Auktionen das klarmachen, ist l&auml;ngst in den mittleren Bereich durchgereicht. Es wird mit Kunst, durch Kunst und f&uuml;r Kunst auch in Bereichen finanziert, verschuldet, spekuliert, die
    gerade mal eine vierstellige Summe erreichen, aber selbst noch darunter wird gefragt nach dem Wert als Kapitalanlage, werden Kreisl&auml;ufe von Zins und Rendite an Kunst gebunden.</p>
</li>
<li>
  <p>A</p>
  <p>Im Verhalten von Kunden und Anbietern auf Kunstmessen gerade in den Bereichen der affordable art, der F&ouml;rderung des Sammlernachwuchses und &auml;hnliches. Ergebnis: Nicht nur die &Uuml;berpr&auml;senz von Banken und Agenturen und Experten macht
    rasch klar, dass es eine reine Beziehung zum Kunstwerk und seinem Wert nicht gibt. Werden die Interessenten als potentielle K&auml;ufer identifiziert, werden sie sehr rasch in ein Netz von Informationen und mehr oder weniger exklusiven Veranstaltungen
    gezogen; der prim&auml;re Adressat der Kunst sieht sich nur als Kunden wahrgenommen.</p>
</li>

</ol> <p>B</p> <p>Wir wollen damit nicht sagen, dass es keine aufrichtigen Kunstliebhaber, Sammler aus Leidenschaft, Galeristen, die kein Interesse an Preisk&auml;mpfen haben, usw. mehr gibt. Was wir indes empirisch widerlegen k&ouml;nnen, ist die Legende von einem friedlichen

und gedeihlichen Nebeneinander des exaltierten kapitalisierten Kunstmarkt der Oligarchen und der Auktionsh&auml;user, einem traditionell b&uuml;rgerlich gediegenen Kunstmarkt mit einer zivilisierten &Ouml;konomie und einem aufregenden, innovativen und
vor-kommerziellen Garagen-Sektor. Neoliberalisierung erfasst die Bildende Kunst als ganzes und wirkt bis in jede Nische hinein. Und ebenso widerlegen k&ouml;nnen wir die These, dass der &ouml;ffentliche, staatliche und gesellschaftliche Sektor gegen&uuml;ber
dem exaltierten Kunstmarkt zwar ein wenig ins Hintertreffen geraten sei, sich aber ansonsten an seine kulturellen Verpflichtungen halte und sozusagen f&uuml;r eine Grundversorgung der Bev&ouml;lkerung mit Kunst sorge. Das Museum selbst ist l&auml;ngst
zu einer jener &ouml;konomisch-politischen Indifferenzzone geworden, die Josef Vogl in seiner Kritik des Neoliberalismus beschreibt: Institutionen, in denen von au&szlig;en nicht mehr ausgemacht werden kann, wo die Grenzen zwischen wirtschaftlichen
und politischen Interessen und ihren Vertretern verlaufen. Die politische &Ouml;konomie der Museen wandelt sich in den Parametern von Standort, Joint Ventures, Touristik und Management, und auch hier herrscht das Prinzip der Quantifizierung.</p>

<p>A</p> <p>Nat&uuml;rlich haben wir einen dritten Sektor, n&auml;mlich eine Kunst, die ganz bewusst auf die Kunstmarkt-Kompatibilit&auml;t verzichtet. Eine Kunst, die soziale Relevanz, &ouml;ffentliche Sichtbarkeit, &auml;sthetische Integrit&auml;t, Unabh&auml;ngigkeit

etc. h&ouml;her einsch&auml;tzt als Verkaufspreise. V&ouml;llig klar, dass eine solche Kunst die ganze Sympathie und die Solidarit&auml;t von Menschen genie&szlig;t, die wir als urspr&uuml;ngliche Adressaten bezeichnen m&ouml;chten, also als Menschen,
die Kunst f&uuml;r ihre eigene Biographie, ihre Wahrnehmung, ihr Gl&uuml;ck, ihre Zukunft brauchen.</p>

<p>B</p> <p>F&uuml;r diese Form der Kunst als Anti-Kunstmarkt-Geste freilich gibt es nur wenig Modelle einer tragf&auml;higen politischen &Ouml;konomie. Selbstausbeutung, Versuche einer alternativen &Ouml;konomie, die Verbindung mit neuen sozialen Bewegungen, die

Do-it-Yourself-Punk-Idee, Verkn&uuml;pfung mit anderen Aufgabenbereichen der &auml;sthetischen Produktion, Verbindung mit Pop und Musik, mit Theater und Film, crowdfunding einzelner Projekte, nicht zuletzt nat&uuml;rlich auch mit verbliebenen gesellschaftlichen
F&ouml;rderinstanzen, die noch nicht dem Ruf des Neoliberalismus gefolgt sind - es gibt eine Reihe individueller und ein paar kollektiver &Uuml;berlebensmodelle. Aber was daraus werden muss, ist die Frage nach einer neuen politischen &Ouml;konomie f&uuml;r
die Kunst. Das bedeutet:</p>

<ol>

<li>
  <p>A</p>
  <p>Ein sozusagen berufstst&auml;ndiges Anliegen. Es gilt die Rechte der prim&auml;ren Produzenten wieder zu st&auml;rken. Eine utopische Lieblingsidee: Kunstwerke kann man nicht mehr kaufen, man kann sie nur leihen, man muss sie daf&uuml;r sozusagen
    adoptieren und die Verantwortung dazu &uuml;bernehmen. Eigentliche Besitzer bleiben die K&uuml;nstler oder vielleicht Organe der Selbstverwaltung. Weniger utopisch: K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler k&ouml;nnen &uuml;ber Standorte und Sichtbarkeit
    mitbestimmen, sie m&uuml;ssen das Leihgaben-Recht best&auml;rken, auch wenn die Versicherungssummen so rasant steigen, es wird eben an allen Ecken und Enden an Kunst verdient.</p>
</li>
<li>
  <p>B</p>
  <p>Die K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler m&uuml;ssen von ihrem nur scheinbar nat&uuml;rlichen Konkurrenzverhalten wieder zu mehr Solidarit&auml;t untereinander gelangen. Sie m&uuml;ssen vom Reichtum, der mit Kunst generiert wird, nicht nur einen individuellen
    Anteil verlangen, sondern auch einen Teil f&uuml;r den Aufbau von Strukturen der Selbstverwaltung und Selbstorganisationen, in denen es nicht blo&szlig; um die F&ouml;rderung von Kunstmarkt-fernen Projekten geht, sondern auch um eine bessere Verteilungsgerechtigkeit.
    Junge K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler sollen sich &uuml;ber den Markt keine Illusionen machen und sollen ganz gewiss die &ouml;konomischen Grundlagen ihrer Arbeit nicht ausblenden. Aber sie sollen auch nicht geblendet und manipuliert schon
    am Beginn ihrer Arbeit den Gesetzen dieses Marktes geopfert werden oder sich selber opfern. Mindestens so wichtig wie individuelle Nachwuchspreise sind M&ouml;glichkeiten, die eigenen Arbeiten sichtbar zu machen, den ersten Adressaten, der kritischen
    &Ouml;ffentlichkeit, nicht den Marktexperten.</p>
</li>
<li>
  <p>A</p>
  <p>Es gen&uuml;gt nicht, das Elend der Kunstkritik zu beklagen. Ach, was hatten wir fr&uuml;her f&uuml;r tolle Leute. Zu fordern w&auml;re sowohl eine Unabh&auml;ngigkeitserkl&auml;rung der verbliebenen Kritikerinnen und Kritiker als auch eine neue Form
    der Diskurse, die nach der Bedeutung der Kunst f&uuml;r die Gesellschaft fragt und die sich lossagt von Rekordpreis, Blockbuster und Powerranking.</p>
</li>
<li>
  <p>B</p>
  <p>Es wird nicht ewig so weitergehen. Wenn doch, lohnte das Nachdenken nicht. Aber gerade in der Kunst sollte soviel Potential von Phantasie und Utopie zu aktivieren sein, um zu fragen was nach einer Kunst im Kapitalismus und nun nach einer Kunst f&uuml;r
    den Neoliberalismus kommt. Wie kann die politische &Ouml;konomie der Kunst in der Zukunft aussehen? Gewiss wird es weder eine Wiederkehr von Staatskunst und politischer Indienstnahme sein, noch wird es weitergehen mit einer marktradikalen Nachfragekunst,
    es wird vielmehr um demokratische Modelle und neue Beziehungen zwischen Produzenten und Adressaten gehen, um Preisermittlungen, die nicht an Kapital, wohl aber an Bed&uuml;rfnissen und M&ouml;glichkeiten orientiert sind.</p>
</li>
<li>
  <p>A</p>
  <p>Jede Art von Kunst ist sowohl Metapher als auch Experiment von Freiheit. Kunst kann durch politische Macht ebenso unterdr&uuml;ckt werden wie durch &ouml;konomische und mediale Hegemonie. Alles was mit der Kunst und in der Kunst geschieht, geschieht
    am Leitfaden der Freiheit. Genau so wenig wie die &Ouml;konomie ihr Versprechen hielt, die Freiheit der Kunst gegen die Politik zu verteidigen, kann die Politik, wie immer sie beschaffen sein mag, ein Versprechen geben, die Kunst gegen die Zw&auml;nge
    der &Ouml;konomie zu verteidigen. Das hei&szlig;t, und es ist Ansporn vielleicht genug, eine transformierte artworld wird nicht mehr nach einem &auml;u&szlig;eren Garanten, einer Schutzmacht suchen, sondern die neue politische &Ouml;konomie aus
    sich selbst heraus entwickeln. Ein weiteres Lieblingsmodell daf&uuml;r ist die nomadische Kunst, eine Kunst, die ihre &Ouml;konomie in Bewegung und in Begegnung entfaltet.</p>
</li>
<li>
  <p>B</p>
  <p>Nichts davon ist die L&ouml;sung schlechthin. Aber alles ist besser als eine Kunst, die zwar viel kostet, aber nichts mehr bedeutet.</p>
</li>

</ol> <p>A</p> <p>Wir wollen den Kreis schlie&szlig;en: Auf dem Pfad der Sch&ouml;pfung wandert niemand je allein. Die Metapher von Pfad und Wanderung scheint uns in Zusammenhang mit der gegenseitigen Verbindung der K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler besonders wertvoll.

Es geht darum sich auf den Weg zu machen, es geht darum, einem Zustand von L&auml;hmung und Versteinerung zu entkommen. Es geht nicht darum, &uuml;ber Kunst zu bestimmen. Die Offenheit der Kunst, auch in der Form einer verlorenen Unbek&uuml;mmertheit,
ist gerade ihr Wesen. Es geht vielmehr darum, die Kunst wieder dahin zu bringen, wo sie gebraucht wird. Und das ist keine Aufgabe, die die K&uuml;nstlerinnen und K&uuml;nstler allein l&ouml;sen k&ouml;nnen, und keine, die Vermittler, Galeristen, Kuratoren
usw,, eine vielleicht dissidente Sektion der artworld also, allein l&ouml;sen k&ouml;nnte, sondern auch die Adressaten m&uuml;ssen sich engagieren f&uuml;r eine neue politische &Ouml;konomie und damit verbunden f&uuml;r eine neue Kultur der Vermittlung
und des Dialoges. St&eacute;phane Hessel hat das in einem sch&ouml;nen Satz gesagt: Neues schaffen, hei&szlig;t Widerstand leisten. Widerstand leisten, hei&szlig;t Neues schaffen.</p>

<p>B</p> <p>Eine Kunst, die ihrer Kapitalisierung und Aufl&ouml;sung in der Eventkultur, ihrem Missbrauch als Kreativit&auml;tsdroge und Prekarisierungsmethapher, ihrer Enteignung und ihrer Desozialisierung nicht widersteht, kann auch nichts Neues schaffen. Eine

Kunst, die darauf besteht, Neues zu schaffen, muss sich als Widerstand begreifen.</p>

</html>

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Website: MONOKULTURVideo

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