Benutzer-Werkzeuge

Dies ist eine alte Version des Dokuments!


3 England − das Handelsgut

3.1 Zensur und Gilde

3.1.2 Hall Book und Copy

Die Company of Stationers richtete 1557 ein Register (the Hall Book) ein, in das die hoheitliche Druckerlaubnis eingetragen wurde, nachdem ein Verleger ein von der Zensurbehörde genehmigtes Manuskript der Gilde vorgelegt hatte. Der Verleger hatte von der Krone die Erlaubnis zum Druck dieses Werks (the license) erhalten, jedoch bezog sich diese Erlaubnis nur auf die Zensur. Dem Staat war es gleich, welches Gildenmitglied das zensierte Werk druckte. Die Krone bestimmte (außerhalb der Privilegien) nicht die Aufteilung der Druckerlaubnisse, sondern überließ die Gestaltung des Rechts der Gilde.1)

1560–1562 wurde die staatliche Druckerlaubnis von der Gilde dahingehend interpretiert, dass sie nur ausgeübt werden durfte, wenn kein anderes Mitglied zuvor ein Recht für den gleichen Text erworben hatte. Das Register mit den Erlaubnissen der Zensurbehörde verwandelte sich so in eines, in dem Druckrechte – jedoch nur für den Eingetragenen (owner of the copy) – festgehalten wurden.

Es ist zu unterscheiden zwischen

  • der zensurrechtlichen Gestattung der mechanischen Reproduktion eines Werks und
  • dem von der Gilde geschaffenen individuellen Recht, den Druck zu veranlassen.

Gildenintern war ausschließlich der Eingetragene berechtigt, ein von der Zensur allgemein zur Verbreitung zugelassenes Werk zu drucken oder drucken zu lassen und in den Verkehr zu bringen. Als Copy wurde das Recht bezeichnet, nach Erteilung einer Druckerlaubnis und Eintragung im Register, am Marktgeschehen mit dem entsprechenden Werk teilzunehmen sowie sich gegen unerlaubte Kopien anderer zu wehren (Druckerlaubnis und Nachdruckverbot).2)

Die von der Gilde entwickelte Aufteilung hatte individuelle und übertragbare Rechte zum Gegenstand, mit denen gehandelt werden konnte. Zwangsläufig wurden alsbald nicht nur das erste Druckrecht, sondern auch Abtretungen oder Aufteilungen des Rechts eingetragen.3) Die Eintragungen lauteten beispielsweise:

James Roberts. Entred for his Copie under the handes of master Pasfield and master Waterson: A booke called 'the Revenge of Hamlett Prince Denmarke´ as yt was latelie Acted by the Lord Chamberleyne his servantes.

Pasfield war der Zensor, Waterson einer der Wardens der Company of Stationers. Der Autor wird nicht genannt, und es ist auch nicht sicher, ob sich diese Eintragung auf den Text Shakespeares bezieht oder auf eine Abschrift von einem Schauspieler aus der Truppe Shakespeares.

Wenn das Werk bereits für einen anderen eingetragen war, wurde die Eintragung abgelehnt. Wenn es nur möglicherweise einem anderen gehörte, wurde ein Vorbehalt eingetragen, und wenn es noch nicht zensiert war, wurde darauf hingewiesen, dass der Druck bedenklich sein könnte, und so fort.4)

Die Gilde vollzog nach und nach eine Landnahme der vorhandenen Texte, indem sie praktisch sämtliche Schriften registrierte und die Verwertungsrechte unter ihre Mitglieder aufteilte. Es war eine virtuelle Umsetzung der Okkupationstheorie, da derjenige, der zuerst einen klassischen, folglich herrenlosen Text im Hall Book hat eintragen lassen, diesen besetzt hatte.

Einige Mitglieder der Company waren also mit zeitlich befristeten Privilegien ausgestattet, die aber teilweise aufgrund ihrer abstrakten Typumschreibung ausgesprochen wertvoll waren. Die nicht unter die Privilegien fallenden, in das Register der Stationers' Company eingetragenen Bücher durften nur vom Inhaber der Kopiererlaubnis gedruckt werden.5) Ab ca. 1600 bestrafte die Gilde nicht nur die Nachdrucker, sondern auch diejenigen, die ohne entsprechende Eintragung im Register Bücher drucken ließen; ab 1620 waren die Strafen häufiger anzutreffen.6) Zwischen den Mitgliedern konnten die Druckrechte abgetreten werden, und außerhalb der Gilde bestanden keine Druckmöglichkeiten.7) Lediglich für die beiden, wirtschaftlich wenig bedeutsamen Universitäten Oxford und Cambridge gab es eine Ausnahmebestimmung8) Für jedes Werk gab es also ein Ausschließlichkeitsrecht und alle Rechte waren den Mitgliedern der Londoner Gilde zugeordnet.

3.1.3 Schaffung von Rechten

Die Krone hat die Ausschließlichkeitsrechte kaum geregelt, sondern es der mit hoheitlichen Befugnissen über ihre Mitglieder ausgestatteten Gilde überlassen. Max Weber9) beschreibt Vorgänge wie die Ausbildung der Kopierrechte und deren Aufteilung innerhalb der Mitglieder der Gilde abstrakt und zugleich treffend als einen üblichen Vorgang bei der Schaffung von Rechten. Dass das Modell Webers so gut passt, liegt daran, dass es von der ab ungefähr 1500 vermehrt einsetzenden Schließung der Zünfte10) abgeleitet ist (vgl. etwa hier: Marktaufteilung durch Zünfte). Bei der Monopolisierung durch die Buchhändler handelte es sich nicht um einen singulären und auch nicht um einen in besonderem Zusammenhang mit geistigen Leistungen stehenden Vorgang, sondern um eine typische Ausprägung des fortschreitenden wirtschaftlichen und rechtlichen Prozesses. Auch wenn Weber von einer Universalität des Vorgangs ausgeht, ist seine Analyse doch von der europäischen Entwicklung seit dem Mittelalter geprägt. Einige Momente, die Weber als Bestandteil der Übertragung wirtschaftlicher Chancen von der Allgemeinheit auf eine Gruppe ansieht, namentlich die interne Organisation der Gruppe als einer Rechtsgemeinschaft, waren bereits durch das Gildenwesen vorgegeben. Soweit es jedoch um die Ausgrenzung eventueller Konkurrenten und die interne Aufteilung der Chancen ging, war die englische Entwicklung ein typischer Vorgang zur Schaffung von Eigentumsrechten.

Solange in einem Markt überdurchschnittliche Gewinne erwirtschaftet werden, besteht ein Anreiz für Unternehmer, sich dort zu engagieren, um an den Gewinnen zu partizipieren. Mit dem Auftreten von immer mehr Konkurrenten beginnt die Einschränkung des freien Zugangs zu den ökonomisch nutzbaren Möglichkeiten auf einem ursprünglich freien Betätigungsfeld. Der Wettbewerb um ökonomische Chancen führt mit wachsender Zahl der Konkurrenten im Verhältnis zum geringer wachsenden Erwerbsspielraum zu dem Interesse, die Konkurrenz »irgendwie einzuschränken«, weil eine Überproduktion vorliegt, etwa wenn mehrere Verleger das gleiche Buch drucken und die eigene Auflage nicht vollständig absetzen können oder vorhandene Produktionskapazitäten nicht wünschenswert ausgeschöpft werden (die Druckerpressen stehen still, weil die Nachfrage geringer ist als die Produktionskapazität).

Die Einschränkung des Wettbewerbs erfolge anhand äußerlich feststellbarer Merkmale eines Teils der aktuell oder potentiell Mitkonkurrierenden. Solche Abgrenzungsmerkmale könnten etwa Rasse, Abstammung, Geschlecht oder Ausbildung sein. »Die gemeinsam handelnden Konkurrenten sind nun unbeschadet ihrer fortdauernden Konkurrenz untereinander doch nach außen eine ,Interessentengemeinschaft` geworden« und es wächst eine »Tendenz, eine irgendwie geartete ,Vergesellschaftung` mit rationaler Ordnung entstehen zu lassen«. Bei »Fortbestand des monopolistischen Interesses kommt der Zeitpunkt, wo sie eine Ordnung setzen, welche Monopole zugunsten der Begrenzung des Wettbewerbs schafft«, und zur Durchführung der Ordnung Organe bestimmt. Dieser Prozess der »Schließung einer Gemeinschaft« sei »ein typisch sich wiederholender Vorgang, die Quelle des ,Eigentums` am Boden ebenso wie aller zünftigen und anderen Gruppenmonopole.«

Die Mitglieder verfolgen einheitlich den Zweck, »in irgendeinem Umfang die Schließung der betreffenden sozialen und ökonomischen Chancen gegen Außenstehende.«11) Sie stehen zwar mit ihren partikularen Interessen im Wettbewerb untereinander, sind jedoch geeint im Willen, das Gut innerhalb der Gemeinschaft zu erhalten. In der Gruppe kann die Zuteilung der monopolistischen Chancen unterschiedlich definitiv sein. Sie könne ganz offen bleiben, so dass die Mitglieder weiter darum frei konkurrieren. Umgekehrt können die Chancen auch nach innen beschränkt (»geschlossen«) werden, indem sie endgültig an den Einzelnen und seine Erben vergeben werden und die Abtretung auf den Kreis der Gemeinschaftsgenossen reduziert wird.

Diese Formen finden wir bei der Buchhändlergilde:

  • Dies ist einmal die allgemeine Freiheit für alle Mitglieder der Gilde, Bücher zu drucken und zu verkaufen. Soweit der Erwerb konkreter werkbezogener Druckrechte betroffen war, konkurrierten sie untereinander. Jedoch bestand diese Freiheit nur für Mitglieder der Gruppe.
  • Hatte ein Mitglied ein entsprechendes Recht appropriiert, wurde es zu seinem ausschließlichen Recht, das nunmehr die Absenz von Wettbewerb sicherstellte.
  • Diese rechtliche Position konnte übertragen oder vererbt werden. Sie konnte allerdings nur innerhalb der Gruppe abgetreten werden. Die Beschränkung der Abtretung innerhalb der Gruppe war notwendig, denn eine freie Abtretbarkeit auch an Außenstehende würde die Sprengung der Gemeinschaft bedeuten: »Die völlige Freigabe der appropriierten Monopolchancen zum Austausch auch nach außen: ihre Verwandlung in völlig ,freies` Eigentum, bedeutet natürlich die Sprengung der alten monopolisierten Vergemeinschaftung, als deren caput mortuum nun sich appropriierte Verfügungsgewalten als ,erworbene Rechte` in der Hand der Einzelnen im Güterverkehr befinden.«12)

Außerhalb der privilegierten Gruppe existierten die Rechte nicht, da diese nicht an die Ordnung der Gruppe gebunden waren. Das galt natürlich auch für die Autoren, die keine Rechte erwerben konnten.

Der Grad und die Art der Appropriation wie auch die Leichtigkeit, mit der sich der Appropriationsprozess vollzieht, hängt laut Weber von der technischen Natur der Objekte und Chancen ab, um die es sich handelt. Dass ein Objekt oder eine Chance erst durch Meliorierung Ertrag bringt, ein Arbeitsprodukt des Nutzenden wird, sei jedoch nicht ausschlaggebend, sondern eher, ob es sich um ein sinnfälliges, einfach abgrenzbares Objekt handele. Rein technisch sei eine gewonnene Kundschaft nicht so leicht als Recht abzugrenzen, wie ein Grundstück oder ein bestimmtes Werk, obwohl in die Kundschaft mehr Arbeit investiert wurde.

Eckhard Höffner 2017/10/06 14:51

Fortsetzung


1)
Patterson S.~6, 21; Hirsch S.~24; Dallon S.~392; Plant S.~174; Patry S.~7.
2)
Patterson S.~5, 45–53; Rose S.~12.
3)
Feather S.~33.
4)
Vgl. Feather S.~24–34 sowie Patterson S.~28 f., 51 f.
5)
Feather S.~33; Bappert S.~231; Osterrieth S.~15 ff; St Clair S.~43 f., 482.
6)
St Clair S.~482. Patterson S.~57, 60, nennt als ersten Eintrag einer Strafe für das Drucken eines Buches ohne entsprechende Registrierung 1596 sowie eine allgemeine Anweisung der Gilde über die Eintragungspflicht vom 27. September 1622. In der Regel war der gildeninterne Court of Assistants aber eher an Vergleichen und der Aufrechterhaltung der internen Ordnung interessiert als an einer Bestrafung; Patterson S.~33, 57.
7)
Plant S.~175.
8)
Feather S.~23.
9)
Weber S.~260, Halbbd. 1, Kap. II § 2.
10)
vgl. zum Begriff etwa Abel S.~139; Kulischer S.~142 f.
11)
Weber S.~260 f, Halbbd. 1, Kap. II § 2.
12)
Weber S.~260 f, Halbbd. 1, Kap. II § 2.

Diese Web­site be­nutzt Cookies. Durch die Nutz­ung der Web­site er­klären Sie sich mit der Speich­er­ung von Cookies auf Ihrem Com­puter ein­ver­standen. Außer­dem be­stät­igen Sie, dass Sie unsere Daten­schutz­richt­linie ge­lesen und ver­standen haben. Wenn Sie damit nicht ein­ver­standen sind, ver­lassen Sie bitte die Web­site.

Mehr Info