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3 England: das Handelsgut

3.2 Lockes Arbeitstheorie

3.2.3 Moderne Argumentation

Buchhändler Eingaben

Lockes Arbeitstheorie wurde von den Buchhändlern für ihr Interesse an gesicherten Druckrechten adaptiert. In Pamphleten, die im Zusammenhang mit den Gesetzesinitiativen 1706 und 1709 anonym verbreitet wurden, aber der Buchhändlergilde zuzurechnen sind, war deren neue Argumentationslinie zusammengefasst.1) Es handelte sich jeweils um kurze Texte von wenigen Seiten Umfang, die teils die gleichen Gründe enthielten, teilweise den gleichen Wortlaut aufwiesen und klar und komprimiert zentrale Argumente für das geistige Eigentum vortrugen. Es ging nicht mehr um den zensierenden Schutz des Staates, der Kirche, der Moral oder der Sitten vor schriftlichen Angriffen, sondern um den liberal gebildeten Mann, der durch die Nachdrucker um sein Eigentum gebracht werde.

In den Pamphleten wurden die notwendige Ausbildung und die oft jahrelange Mühe der Autoren bei der Schaffung der Werke angeführt. Als Ausgleich gebührten dem Autor auch die Vorteile der Arbeit, und einer dieser Vorteile sei das unzweifelhafte Recht des Autors, das Produkt seiner Arbeit und Genialität zu kopieren. Wenn er das Kopierrecht an einen Buchhändler, Drucker oder eine andere Person abgetreten habe, so sei dem Erwerber dieses zweifelsfreie Recht übertragen. Es sei deshalb vernünftig, anzunehmen, dass die Buchhändler und Drucker ein Eigentum am Kopierrecht erworben hätten. Mit Monopolen habe dies nichts zu tun, da das Kopierrecht niemanden daran hindern würde, über den gleichen Gegenstand ein Werk zu schreiben oder ein anderes, inhaltlich gleichwertiges Werk zu drucken.

Die Buchhändler seien immer davon ausgegangen, dass Investitionen in ein Kopierrecht so sicher wären wie der Kauf von Land, welches ihnen auf ewig gehöre.In den Nachlässen der Verleger wurden die Copyrights bewertet und machten oft einen beträchtlichen Teil des Vermögens aus. Winkler2) nennt einige Beispiele, etwa den 1720 verstorbenen Thomas Horne mit einem Nettovermögen von 3.277 Pfund, von dem 1.014 Pfund auf Rechte entfielen, oder Thomas Bennett (1706), von dessen Gesamtvermögen in Höhe von 8.819 Pfund die Rechte und das Warenkapital 2.594 betrugen. Der Wert der Geschäftsausstattung ohne die Rechte und eventuell gedruckte Bücher war in der Regel kaum zehn Pfund, wenn eine Druckerei vorhanden war, einige Hundert Pfund wert3)

<html><aside class=„betont-ausschnitt“> Argumentative Meisterwerke zur Konstituierung des geistigen Eigentums mit einer hervorgehobenen Rolle der Autoren, die auch heute nicht besser vorgetragen werden </aside></html>

Das Exklusivrecht sei notwendig, da die Aufhebung den Ruin von vielen Familien zur Folge haben würde. Sechstausend Personen würden ausschließlich von der Produktion und dem Handel mit Büchern leben. Wenn jederzeit nachgedruckt werden könne, hätte dies nur unkorrekten Druck in schlechter Qualität, den Niedergang der Druckkunst der gesamten Nation zur Folge. Selbstverständlich fehlte der banale Hinweis nicht, dass Bücher für die Bildung nützlich sind. Bücher seien jedoch keine notwendigen Produkte wie Nahrung oder Kleidung, so dass Beschwerden über zu hohe Preise nicht gehört werden dürften. Die Buchpreise seien im Laufe der letzten einhundert Jahre auch gesunken.4)

Wenn es kein Verbot des Nachdrucks gebe, könnten die Autoren selbst für die wertvollsten Werke nicht bezahlt werden. Die Autoren könnten aber auch nicht die Werke im Selbstverlag drucken lassen, denn von zwanzig Büchern würde nur eines die Herstellungskosten decken, wenn es ordentlich auf gutem Papier gedruckt werde. Dieses Risiko würde niemand eingehen, so dass die Verleger zur Absicherung der Finanzierung notwendig seien. Sollten diese jedoch kein ausschließliches Kopierrecht haben, könnte der Autor nicht für sein Werk belohnt werden. Dies würde die Autoren entmutigen, ihr wertvolles Wissen zu offenbaren.

Auch eine zeitliche Befristung sei abzulehnen. Die Befristung sei wirkungslos, denn wenn ein Buchhändler das Eigentum für zehn oder zwanzig Jahre gehabt habe, so habe er es für ewig. Das Eigentum könne ihm nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht mehr genommen werden. Es sei auch nicht so, dass in jedem Fall nach zehn oder vierzehn Jahren alle Ausgaben und Risiken gedeckt seien. Es gäbe Werke, deren Wert erst nach vielen Jahren oder Jahrzehnten entdeckt werde. Wieso die Vorteile des Verkaufs in größeren Stückzahlen bei den spät entdeckten Werken einer beliebigen Person und nicht dem rechtmäßigen Eigentümer zukommen sollten, sei nicht ersichtlich.

Vieles davon hatte die Gilde schon 1643 vorgetragen:5)

  • Es sei kein Grund ersichtlich, wieso mit den Produkten des Geistes nicht wie mit jedem anderen Gut Handel getrieben werden könne.
  • Bücher – außer der Bibel – seien Luxus, und die Nachfrage nach Büchern sei denjenigen vorbehalten, die sie aus ihrem Überfluss bezahlten.
  • Ein wohl organisierter (gemeint: monopolisierter) Handel würde zu billigeren Büchern führen, da freier Nachdruck Verwirrung stifte und zusätzliche Kosten zur Folge hätte, die über den Verkauf von Büchern finanziert werden müssten.
  • Durch das Ausschließlichkeitsrecht würde das Risiko der Buchhändler sinken, die untereinander über den Tauschhandel zu günstigen Konditionen die Drucke austauschen und so billigere Bücher liefern könnten.
  • Zugleich könnte der geordnete Handel eine Überproduktion verhindern, da andernfalls die Gefahr bestünde, dass zu viele Verleger das gleiche Buch druckten.6)
  • Außerdem würde die Angst vor dem Nachdruck zu einer Unterproduktion führen, denn wenn jederzeit nachgedruckt werden könnte, hätten die Verleger Angst, die Kosten für ein neues Buch vorzufinanzieren.
  • Indem der Staat den Buchhandel entmutige, würde er Autoren in größerem Maße abschrecken. Die Studien vieler Autoren würden nur mit dem Kopierrecht belohnt. Ohne ein Nachdruckverbot würden viele Werke bereits im Mutterleib stranguliert oder niemals ernsthaft begonnen werden.
  • Zahlreiche Familien würden durch den Handel mit Rechten ihren Lebensunterhalt verdienen; einige Witwen oder Waisen hätten nur die Rechte als Mitgift oder Legat und würden ohne sie verarmen.

In den Eingaben von 1643 und 1709 wurden bereits die Autoren als zu fördernde Personen genannt. 1643 hieß es:

Community [kein ausschließliches Druckrecht] as it discourages Stationers, so it's a great discouragement to the Authors of Books also; Many mens studies carry no other profit or recompence with them, but the benefit of their Copies; and if this be taken away, many Pieces of great worth and excellence will be strangled in the womb, or never conceived at all for the future.

1709 wurde die Arbeit, Ausbildung und Genialität der Urheber betont und ein daraus resultierendes unstreitiges Eigentum der Autoren behauptet.

It seems very reasonable, that a Gentleman who has spent the greatest part of his Time and Fortune in a liberal Education, should have all Advantages that may possibly be allowed him for his Writings; one of which is the sole and undoubtable Right to the Copy of his Book, as being the Product of his own Labour and Ingenuity, either to be preserved for the Benefit of himself, and his Posterity, or to be Assigned by others at his Discretion …Anonym.

Eigentum am Produkt der Arbeit und Genialität – die Annäherung an Lockes Theorie von einem naturrechtlichen Aneignungsrecht ist erkennbar.

Das Merkwürdige an diesen argumentativen Meisterwerken zur Konstituierung des geistigen Eigentums, die auch heute kaum besser vorgetragen werden, ist die hervorgehobene Rolle der Urheber, deren Vorteile die Verleger gewiss nicht im Auge hatten. Die Autoren dienten gleichsam als Steigbügelhalter für die Verschaffung der exklusiven Kopierrechte.

Die Meinung über die Buchhändler war bei den eher liberal denkenden Menschen nicht sonderlich hoch, hatten sie sich doch als williges Werkzeug der Regierung bei der Unterdrückung der kritischen Schriften, der Verhinderung der Verbreitung von Wissen erwiesen. Und es ist auch ernüchternd, wenn als originärer Verfasser der urheberrechtlichen Arbeitstheorie nicht einer der Väter der amerikanischen Verfassung, John Locke, in Erscheinung tritt, sondern die von diesem als dumpfe, ignorante und faule Bösewichte beschimpften Buchhändler.7) aber Locke hätte das Begehren der Buchhändler nach ewig dauernden Rechten kaum unterstützt. Locke schlug vielmehr aufgrund des von ihm als nachteilig angesehenen Monopols 1693 dem befreundeten Parlamentarier Edward Clark vor, dass dieser im Interesse des gebildeten Bürgertums ein Ende des Licensing Act fordern solle:

I wish you would have some care of book-buyers as well as all of booksellers and the company of stationers, who having got a patent for all or most of the ancient Latin authors (by what right or pretense I know not) claim the text to be theirs, and so will not suffer fairer or more correct editions than any they print here, or with new comments to be imported without compounding with them, whereby these most useful books are excessively dear to scholars, and a monopoly is put into the hands of ignorant and lazy stationers.8)

Defoes Regulation of the Press

<html><figure class=„rahmen mediaright“></html> <html> <figcaption class=„caption-text“„>Daniel Defoe (1704)</figcaption></figure> </html>

Zur Ehrenrettung lässt sich aber anführen, dass die Stationer neben dem umgewidmeten Gedankengut Lockes Anleihen bei Daniel Defoe genommen und dessen Formulierungen teilweise übernommen hatten. Defoe, der wegen einer satirischen Schrift im Gefängnis saß, befasste sich nach seiner Entlassung in der Schrift „An Essay on the Regulation of the Press“ in erster Linie mit der Zensur und schlug bestimmte gesetzliche Regelungen vor. Durch die Verpflichtung, dass jeder Autor in seinem Buch namentlich genannt wird, sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, ohne Vorzensur auszukommen.

Am Ende des Essays über die Presse ging er auch auf den Nachdruck ein und prangerte die Nachteile an, die Nachdrucksfreiheit zur Folge hätte. Er forderte ein Gesetz, das das ungestrafte Nachdrucken durch Drucker und Verleger, die kein Kopierrecht innehaben, verbiete. Der Nachdruck würde nicht nur dem anderen, berechtigten Verleger sein Recht rauben, sondern den Menschen die Belohnung für ihr Lernen und den Vorteil ihrer Studien. Den Lesern würden unkorrekte, mangelhafte und betrügerische Anthologien und unzählige Fehler untergeschoben werden, die dazu führten, dass die Absichten des Autors ins Gegenteil verkehrt oder jedenfalls verfälscht oder verfremdet würden.9)

Sobald ein Autor ein umfangreicheres Buch auf den Markt brächte, werde unverzüglich von einem geschäftstüchtigen Verleger ein minderwertiger Lohnschreiber beauftragt, eine Kurzfassung zu schreiben, die mit falschen Ideen und Unverständnis den Gegenstand des Originals zerstörten. Die Kurzfassungen würden mit dem Versprechen, die Substanz des Originals sei in der Kurzfassung enthalten, für vier Schilling verkauft, während das Original zwanzig koste. Nur der Eigentümer eines Werks sei berechtigt, eine Kurzfassung herauszugeben, und es sei niemand anderes als der Autor des Originals besser geeignet, eine Kurzfassung zu schreiben. Wenn es sich um einen kürzeren Text handele, würden die Nachdrucker alsbald einen billigeren, auf schlechterem Papier gedruckten Nachdruck auf den Markt bringen, der den Originalverleger in den Ruin treibe.

<html><p class=„zitatbox“>Verantwortlichkeit für den Inhalt des Textes bedeutet zugleich eigentumsrechtliche Zuordnung</p></html>

Durch das von ihm vorgeschlagene Gesetz sei der Autor verpflichtet, seinen Namen auf das Buch zu setzen.10) Das Gesetz solle zugleich bestimmen, dass der Autor ein zweifelsfreies Eigentum (property) am Werk, vergleichbar einem Patent, habe.11) Defoes Ansatz weist aber nicht diese eindeutige eigentumsrechtliche Klarheit zugunsten des Autors auf wie sie dem heutigen Verständnis zugrunde liegt. Durch die Zusammenfassungen oder Verfälschungen könnte der Verleger ruiniert, das Publikum über den Inhalt des Originals getäuscht werden, während vielleicht zwanzig Jahre Arbeit des Autors verloren oder unangemessen schlecht bewertet werden. Außerdem sei die Qualität der Nachdrucke schlechter.

the Undertaker is ruin’d, the Reader impos’d upon, and the Author’s perhaps 20 Years Labour lost and undervalued. […] This is the first Sort of the Press-Piracy, the next is pirating Books in smaller Print, and meaner Paper, in order to sell them lower than the first Impression. Thus as soon as a Book is publish’d by the Author, a raskally Fellow buys it, and immediately falls to work upon it.

Insoweit – hinsichtlich der Kritik am Nachdruck – erinnert Defoe an die bereits zu Luthers Zeiten verbreiteten Darstellungen, dass die Nachdrucker wenig daran interessiert seien, wie „recht oder falsch“ sie etwas druckten:

Denn weil sie allein jren Geitz suchen / fragen sie wenig darnach / wie recht oder falsch sie es hin nachdrücken / Vnd ist mir offt widerfaren / das ich der Nachdrücker druck gelesen / also verfelschet gefunden / das ich meine eigen Erbeit / an vielen Orten nicht gekennet / auffs newe habe müssen bessern. Sie machens hin rips raps / Es gilt gelt.

Der hier mit Eigentum übersetzte Begriff property ist nicht identisch mit dem deutschen Rechtsbegriff Eigentum, sondern – wie schon der Hinweis Defoes auf die Parallele zum Patent zeigt (das, wie gesehen, ebenfalls nicht im aktuellen Wortsinn zu deuten ist) – eher als ein Ausschließlichkeitsrecht zu verstehen. Das abtretbare Eigentum würde vollständig dem Autor zustehen. Dies sei vernünftig, denn wenn einem Autor nicht die Vorteile für sein Werk zugeordnet werden, sei es nicht zu begründen, dass man ihm gleichwohl die Nachteile aufbürde; gemeint war damit die Zensur mit den teils drakonischen Strafen.12) Verantwortlichkeit für den Inhalt des Textes bedeutet also zugleich eigentumsrechtliche Zuordnung des Textes, denn nur das Eigentum gibt dem Autor die erforderliche Kontrollmöglichkeit über die Verbreitung des Werkes.

Die Gilde, so der Eindruck, hat die Ausführungen Lockes über das naturrechtliche Eigentum und Defoes Plädoyer für ein Eigentum der Autoren an ihren Schriften kombiniert und eine starke Argumentation für ein Nachdruckverbot gefunden, die bis heute wenig an Überzeugungskraft verloren hat.

Eckhard Höffner 2017/10/14 08:21

Fortsetzung


1)
Reasons Humbly Offer'd to the Consideration of the Honourable House of Commons (1709) stammt hingegen von einem Gegner, der die Monopolisierung – insbesondere die hohen Preise – kritisiert. So habe sich seit dem Ende des Monopols 1695 der Preis für eine Bibel in etwa halbiert und holländische Importe zeigten, dass die Preise allgemein überhöht seien.
2)
Winkler S.~19.
3)
Winkler S.~30. Allerdings verließen die Buchhändler sich seit 1690 nicht auf diese Rechte, auch wenn sie mit diesen reich geworden waren, sondern investierten ihr Vermögen auch in andere Geldanlagen.
4)
Auszüge bei Dreghorn S.~82–89.
5)
Parker.
6)
Eine ähnliche Argumentation findet sich auch bei Beier S.~14.
7)
Locke bezeichnete die Buchhändler als »dull wretches«, »lazy« und »ignorant«; vgl. Dallon S.~400, m. w. Nachw.
8)
zit. nach Rose S.~78.
9)
Defoe S.~25–29. Zu Defoe Greene 107–149.
10)
Vgl. Winkler S.~359–374.
11)
Defoe S.~27, spricht von einem »undoubted exclusive Right to the Property of it [Book]«. Rose S.~35, bezeichnet es als die früheste Forderung in England nach einem Ausschließlichkeitsrecht zu Gunsten der Autoren; Feather S.~56, als einen ungewöhnlichen, bis dahin nicht diskutierten Ansatz.
12)
Defoe S.~25, wies darauf hin, dass das Fehlen einer Bestimmung oder Begrenzung des Strafmaßes in der Zensurpraxis zu ungerechten Strafen führe, da bei der gleichen Tat der eine nur mit einer geringen Geldstrafe bestraft, der andere aber gehängt oder geköpft werden könne.

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