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4 Deutschland: Staatenwettbewerb

4.2 Das Monopol und der Buchverlag

4.2.4 Beschreibung des Buchverlags

Wie integrierte sich nun der Buchverlag in dieses von Monopolen, Privilegien und geschützten Absatzgebieten durchwachsene und geformte Wirtschaftssystem? Und warum war der deutsche Buchhandel nicht wie in Frankreich und England in Zünften organisiert, wieso waren Einfuhrverbote nicht wie in England die Regel, sondern die Ausnahme, und schließlich, wieso etablierte sich in Frankreich und England relativ früh ein Nachdruckverbot, in Deutschland hingegen nicht? Die Druckmonopole in Frankreich oder England waren nicht Ausdruck eines besonderen Rechts an geistigen Werken, sondern typische Gewerbeprivilegien, Patent!VenedigPrivileg |)wie sie auch anderen Industrien gewährt wurden.Goldfriedrich S.~123; Bappert S.~211 f.; Gieseke S.~15; Vogel, Sp. 17 f. Soweit Feather S.~10, oder Rose S.~9, im Zusammenhang mit dem Copyright als erstes Privileg das 1469 von VenedigVenedig an Johann Speyer gewährte ausschließliche Recht zum Druck von Büchern nennen, ist dies systematisch falsch, denn es handelt sich um ein Erfindungs- oder Einführungspatent, das wenige Jahre später in Venedig gesetzlich geregelt wurde; Kohler S.~34; Schack S.~53, Rn. 93; Kostylo S.~23–26, 35–38. Die Druckmonopole betrafen nicht den Text, der etwa als Handschrift weiterhin kopiert und verkauft werden durfte, sondern die Nutzung des technischen Geräts Druckpresse. Der deutsche Buchhandel war hingegen nicht in Zünften organisiert. DruckmonopoleMonopol!Druck– spielten entgegen dem allgemein praktizierten System in Deutschland keine bedeutende Rolle, obwohl der Buchdruck mit einer neuen Produktionsmethode und Luxusgütern dafür prädestiniert war.

In der ständischen Gesellschaft zählten die Buchdrucker unter den Handwerkern zur oberen Stufe.Kluge S.~102. Zumindest nach der Straßburger Kleiderordnung waren die Kunsthandwerker, Schriftgießer, Buchdrucker, Seidensticker und Uhrenmacher die Angehörigen der oberen Schicht der Handwerker. Die anderen Berufe gehörten zur mittleren Stufe, während Schuhflicker, Korbmacher, Tagelöhner und Hirten zur unteren Schicht gehörten. Bei den ersten Drucken der klassischen Texte handelt es sich oft um textkritische Ausgaben, bearbeitet auf der Grundlage unterschiedlicher Handschriften von gut ausgebildeten Textkritikern und KastigatorKastigatoren.Kapp S.~309–311. Dass die Editionstätigkeiten zu einer Steigerung der Kosten der Herstellung eines Buches geführt hätten, wie Jänich S.~19, behauptet, ist zweifelhaft (schon mangels Bezugspunktes), da diese Tätigkeiten erstmals mit dem Buchdruck aufkamen. Sie sind eher später weggefallen, weil die Drucker die Kosten sparen wollten oder kein geeignetes Personal fanden. Die a.a.O. geäußerte Ansicht, durch die größere Verbreitung von Schriftwerken sei die Gefahr einer unrichtigen, verfälschenden Verbreitung gestiegen, ist unzutreffend. Das ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei tausenden von Kopisten größer ist, als bei einem tausendfachen Abdruck eines einmal gesetzten Textes. Beim Buchdruck, so Schottenloher S.~73, »fand eine ganz andere Überwachung, eine viel schärfere Kritik der geleisteten Buchherstellung statt« als bei der Arbeit einzelner Kopisten. Die Ausbildung eines BuchhändlersBuchhändler!Ausbildung und seiner Angestellten, die neben den Grundlagen für den überregionalen Handel am besten auch Griechisch, Latein, Französisch, Italienisch oder Hebräisch beherrschen und sich mit dem Gegenstand der Bücher, theologische, juristische, medizinische und philosophische Schriften, auskennen mussten, war oft ausgezeichnet.Beier S.~16; Vogel, Sp. 10. All diese Kenntnisse waren auch äußerst nützlich, wenn man mit Autoren und Kunden über die Schriften sprach, den Wert eines Fachbuchs beurteilen oder etwa als Schriftsetzer ein medizinisches Werk in Latein setzen musste.

In Deutschland Distribution|(gab es keine örtliche Konzentration des Buchdrucks; Druckereien und Verlage waren über das gesamte Reich verstreut. Bereits vor der Zeit der Reformation und Gegenreformation waren an über sechzig Orten im Heiligen Römischen Reich Druckereien anzutreffen (man vergleiche das mit England, wo ab 1557 neben den beiden Universitätsverlagen in Oxford und Cambridge nur in London Drucker zulässig waren). Die frühen Druckzentren bis 1500 waren Nürnberg, Mainz, Köln, Augsburg, Brixen, Basel, Straßburg und Leipzig. In Wien gab es um 1500 gerade einmal zwei Druckorte, in Frankfurt oder dem damals unbedeutenden Berlin keinen.Kapp S.~408; Wittmann S.~27; Dietz S.~4.

4.2.4.1 Der Verlag

Der Begriff »Verleger« oder Verlagswesen wird heutzutage mit Unternehmen, die Werke der Literatur, Kunst, Musik oder Wissenschaft vervielfältigen und verbreiten, in Verbindung gebracht. Meyers Konversationslexikon führte Ende des 19. Jahrhunderts unter dem Stichwort Verlag!KapitalgeberVerlagVerlag!Begriff folgenden Eintrag:

Verlag, ältere Bezeichnung für Kapital; […] Ferner nennt man so den Kaufmann, welcher den Absatz gewisser Fabrikate an die Detaillisten vermittelt, der sich z. B. von Hausindustriellen Spielwaren liefern läßt, um dieselben in den Handel zu bringen. In demselben Sinn spricht man auch von Tabaks-, Bierverlag u. dgl.Anonym, Stichwort: Verlag.

Über lange Zeit wurde als Verlag ein System bezeichnet, bei dem ein Geldgeber einen Handwerker mit der Herstellung des Handelsguts beauftragt, in der Regel auch die Rohstoffe stellt und dann das fertige Gut verkauft. Laut Zedlers Universallexicon aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist der Verleger derjenige, der »Handwerks-Leute unterhält, ihnen zu arbeiten giebt, und die gemachte Arbeit von ihnen nimmt, dieselbe weiter zu verhandeln, oder der allerlei Waaren ins Grosse handelt, und dieselben bey Kramern und Hökern, so sie ins kleine verkauffen, hinlässt.« Der Begriff verlegen kommt von vorlegen, denn der Verleger übernimmt in der Regel die Vorfinanzierung der Verlagsgüter. Das Verlagswesen entfaltete sich insbesondere in den Gewerben, die für einen größeren Absatzmarkt produzierten, wenn die betreffenden Gewerbe also andernorts fehlten. Zu Beginn der Entwicklung zogen einzelne Handwerksmeister teils auch mit den Waren der Kollegen auf die entfernteren Jahrmärkte, kehrten dann aber wieder in ihre Werkstatt zurück. Der Handel gewann im Laufe der Zeit an Bedeutung, etwa wegen der erforderlichen Kenntnisse über die entfernteren Märkte oder wegen mangelnden Absatzes vor Ort. Es war die durch die Absatz!–gebiet!VergrößerungVergrößerung des Absatzgebietes Arbeitsteilung!Verlag»notwendige Spaltung der ehemaligen Tätigkeit des Handwerkers, die ursprünglich Produktion und Absatz zugleich umfaßte, in zwei selbständige, voneinander allmählich sich absondernde Berufe«.Kulischer S.~113. So entwickelte sich der Unternehmer, der zuerst andere Handwerksmeister – oft Zunftgenossen – mit der Herstellung bestimmter Güter beauftragte, die er als Händler dann vertrieb. Verlagsgewerbe waren beispielsweise die Erzförderung, die Tuchherstellung, die Weberei, die Kleiderkonfektion und die Spinnerei. Die Aufspaltung in Handwerker und Verleger war eine typische Erscheinung des Fernhandels mit Massenwaren, oft hergestellt in ländlicher Heimarbeit, von den Hausindustriellen, oder von kleinen Handwerkern, die aufgrund finanzieller Schieflage in Abhängigkeit des Verlegers geraten waren.Bruder S.~240; Weber S.~113, 140–148; Höffner S.~47; Braudel S.~344–350; ausführlich Sombart S.~708–724. Der Verlag brachte das Handwerk, allerdings in Form eines Abhängigkeitsverhältnisses, auch wieder auf das Land, indem die Personen, die in der Landwirtschaft keine oder nur teilweise, etwa in der Erntezeit, Arbeit fanden, beispielsweise Stoffe webten, die der Verleger dann verkaufte oder bei spezialisierten Handwerkern in der Stadt weiterverarbeiten ließ; Kluge S.~72, 389; Kulischer S.~117–120; Kellenbenz S.~170 f., 329 f.; Dillenz S.~50. Auch die wirtschaftlichen Folgen waren typisch, nämlich der steigende Reichtum der Verleger und die zunehmende Verarmung der Lohnhandwerker.Die Fuggerfamilie schaffte als Verleger für Weber den Grundstock ihres Reichtums. Die Kehrseite, dass des einen außergewöhnlicher Reichtum meist auch auf der Armut vieler beruhte, zeigt das Drama Die Weber (1893) von Gerhart Hauptmann, in dem das seit dem Mittelalter immer noch gleiche Verlagssystem mit dem Verleger und den Hausindustriellen dargestellt wird. Weberaufstände wie der von Hauptmann geschilderte schlesische Aufstand 1844 waren eine Folge. Derjenige am Ende der Produktionskette – das ist der Verleger im klassischen Sinne – hat die besten Aussichten, den Großteil des Gewinns zu vereinnahmen. Von Weber werden die Verleger als »überlegene Tauschpartner« bezeichnet, von denen die Arbeitsleistenden materiell abhängig waren.Weber S.~94, 1. Halbbd., 1. Tl., 2. Kap., § 19.

Der Verleger war eine Erscheinung des Geld- und Kapitalmarkts, eine andere Bezeichnung für den Inhaber des Kapitals, den Kapitalisten – ein Begriff, der offenbar erst Mitte des 17. Jahrhunderts in den Vereinigte NiederlandeVereinigten Niederlanden verwendete wurde.Braudel S.~251. Der Begriff Capital wurde schon früher verwendet, etwa 1578, als die Stadt Frankfurt vorschrieb, dass mangels abweichender Vereinbarung »der Gewinn nach anzahl jeden Gesellscahffters Capital und Hauptguts solle außgetheylt werden«.Frankfurt Titulus XXIII, § III. Nach Adam Smith besitzt der Kapitalist einen hinreichenden Vorrat, der ihm über Monate oder Jahre Unterhalt gewährt. Den größeren Teil seines Vorrats, (»the capital«) setzt er ein, um daraus Einkommen zu erzielen. Das Kapital könne in der Landwirtschaft, in der Produktion oder dem Kauf und Verkauf von Gütern mit Gewinn angelegt werden. Das auf diese Weise angelegte Kapital liefere solange kein Einkommen, als es in seinem Besitz bleibt oder seine ursprüngliche Gestalt behält. Die Waren des Kaufmanns bringen ihm keinen Gewinn, bis er sie für Geld verkauft, und das Geld bringt ihm ebensowenig etwas, bis er dafür wieder Waren eintauscht. Sein Kapital verlässt ihn in der einen Form und kehrt in einer anderen zu ihm zurück und mittels dieses Kreislaufs des Kapitals vermehrt er sein Vermögen.Smith S.~279. Neben dem zirkulierenden Kapital gibt es noch das Fixkapital, das in die Verbesserung des Bodens oder zum Kauf von Maschinen oder Werkzeugen genutzt wurde.

4.2.4.2 Verlag im Buchhandel

Im Buchhandel, so Zedlers Lexikon, »heisst ein Verleger derjenige, der ein Buch auf seine Kosten zum Drucke befördert, und dem Verfasser gemeiniglich eine Entgeltung entrichtet […]«. In England waren bereits relativ früh die Verleger immer weniger zugleich Drucker, sondern Rechtehändler und Finanziers.Feather S.~40, 119–121, schildert den gleichen Vorgang auch für das 18. Jahrhundert. John Murray hat 1768 eine Verlagsbuchhandlung in London gegründet, da er sah, dass »many blockheads in the trade are making a fortune«. Er kaufte einige Kopierrechte von William Sandby für 400 £. Aber er brauchte mehr Kapital und ging eine Partnerschaft mit einer Bank ein. Er konzentrierte sich wie die erfolgreichen Buchhändler dieser Zeit, etwa Longman oder Rivington, auf das reine Verlegen von Büchern. Druck oder Einzelhandel gehörte nicht mehr zu ihrem Geschäft. Braudel berichtet aus Lyon eine parallele Entwicklung. 1539 waren rund hundert Pressen in Betrieb, die Zahl der im Druckgewerbe beschäftigten Meister, Gesellen und Lehrlinge dürfte in etwa tausend betragen haben, wobei eine Werkstatt in der Regel zwei Pressen, die größten bis zu sechs hatten. Die Anschaffung der Maschinen, die Bezahlung der Löhne und der Einkauf des Papiers, alles setzte erhebliche Geldmittel voraus, die vorfinanziert werden mussten und die die Handwerksmeister oft nicht finanzieren konnten. Die Folge, wie in England, war die Ausführung von Auftragsarbeiten durch die Handwerksmeister für die vorfinanzierenden Kaufleute, die Verleger.Braudel S.~550. Dillenz S.~51, nennt die Drucker (Verleger?) »Kapitalisten reinsten Wassers.« Bei Gramlich finden sich einige Zahlen aus Frankfurt in der Mitte des 16. Jahrhunderts: Von 42 Drucker- und Setzergesellen besaßen 25 ein Vermögen von 50 Gulden (fl.) oder weniger, gehörten damit zur ärmsten Schicht. Sieben hatten ein Vermögen von 100 bis 200 fl. Die Obergrenze der Vermögen der Gesellen lag bei 1000 bis 2000 fl., was immerhin vier Gesellen vorweisen konnten. Eine vollständig eingerichtete Offizin mit zwei Drucktechnik!Druckerpresse!KostenDruckerpressen kostete 1584 in Leipzig 650 fl.Gramlich S.~19–22. Ein bescheidenes Haus kostete ca. 600 Gulden (400 Taler). Damit war aber noch kein Papier eingekauft, kein Buch gedruckt, geschweige denn eines verkauft. Ausreichend Vermögen für die Gründung einer eigenen Werkstatt hatte also nur ein Zehntel der Gesellen, die dabei praktisch ihr gesamtes Vermögen riskieren mussten, das bei einem Jahreslohn von deutlich unter 100 fl. über Jahrzehnte oder gar Generationen angespart worden war. Die Meister selbst wurden aber in aller Regel auch nicht reich.Hohe Gewinne wurden vor der Industrialisierung mit Waren- und Geldhandel und aus dem Landbesitz erzielt; Sombart S.~610 f.; Kulischer S.~403. Die Buchdrucker verdienten nicht schlecht, wobei die kleinen Lohndrucker das untere Ende bildeten. In Köln standen sie beispielsweise 1590 an vierter Stelle aller Steuerzahler. Vermögensangaben von einigen Tausenden Gulden sind die Regel, größere Unternehmen gaben auch einige Zehntausend Gulden an; Gramlich S.~19–22. Da die Aufstellungen für die Vermögenssteuer abzugeben waren, liegt es nahe, dass die Drucker sich arm rechneten.

4.2.4.3 Bücher

So wie der Begriff Verlag sich nicht mit unserem heutigen Verständnis deckte, so verhielt es sich auch mit den Büchern. Das Binden der einzelnen Druckbogen zu einem Buch!BegriffBuch war zumeist der Buch!–binderBuchbinderzunft vorbehalten.Beispielsweise wurde in Art. 24 der württembergischen Buchbinderordnung von 1719 der Handel mit alt und neu gebundenen Büchern als Ausschließungsbefugnis der Buchbinder erklärt; Billich S.~152. Gramlich S.~103–110, listet die Befugnisse zum Verkauf von Büchern an den Endkunden in Städten auf: So war der Verkauf an Endkunden in Lübeck, Würzburg, Hildesheim und Rostock beschränkt auf Buchführer und Buchbinder, in Augsburg und Hamburg beschränkt auf Buchdrucker und Buchbinder, in Nürnberg auf Buchbinder und Buchführer, wobei die Buchführer bei den Nürnberger Bindern die Bücher binden lassen mussten, in Frankfurt durften gebundene Bücher außerhalb der Messezeiten nur von den Buchbindern an Endkunden verkauft werden. Die Verleger durften also keine fertigen Bücher in unserem Sinne herstellen, sondern lieferten nur bedruckte Papierbogen. Die losen Papierbogen wurden in Holzfässern in die verschiedenen Regionen des Reichs transportiert und von fahrenden Händlern auf Märkten und bei anderen Gelegenheiten verkauft. Im Laufe der Zeit wurden die Bücher in Häute verpackt und als sogenannte Ballen transportiert, gelagert und im Großhandel verkauft.Größere Mengen wurden auch in England auf dem Wasser transportiert; Raven S.~61. Den Verkaufsladen mit Schaufenster und Büchern zum Anschauen fand man beim Buchbinder. Die Verleger hatten die ungebundenen, aber bedruckten Bogen (diese wurden als Buch bezeichnet) auf Lager. In zeitgenössischen Darstellungen des Buchladens sah man neben einigen gebundenen Büchern oft nur hohe Papierstapel. Aus diesem Grund war der Geschäftssitz eines Verlegers bis in das 19. Jahrhundert hinein auch ein Gewölbe. Wenn ein Kunde ein Buch erwarb, wurden die Bogen vom Buchbinder zu einem Buch nach unserem Verständnis gebunden. Je nach Zahlungsfähigkeit und Vorstellung des Buchkäufers konnte ein einfacher Pappeinband bis hin zum edlen Maroquineinband mit Goldprägung und individuellem Familienwappen gewählt werden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden dann keine losen Bogen mehr, sondern nahezu ausschließlich broschierte Bücher vertrieben.Lorck S.~70.

Schwerpunkte der Messenovitäten 1625 und 1800

4.2.4.4 Tätigkeiten im Buchhandel

Im Buchhandel ist zu unterscheiden zwischen einerseits den Tätigkeiten wie dem Verfassen, Setzen, Drucken, Binden und dem Vertrieb des Buches im Einzelhandel und andererseits dem Handel mit exklusiven Rechten, obwohl in der Praxis die Übergänge der Tätigkeiten fließend waren. Im damaligen Verständnis warBuchhandel!BegriffBuchhändler!Deutschland Buchhandel ein Sammelbegriff, der neben dem Verkauf an die Endkunden und dem Handel der Buchhändler untereinander auch die Produktion umfasste.

Die frühesten Buchdrucker waren auch Verleger (im modernen Sinn), da sie die Herstellung und den Vertrieb auf eigene Rechnung und Gefahr besorgten. In den ersten Jahrzehnten wurden AuflagenAuflage!Höhe von 150 bis 200 Exemplaren gedruckt, die sich ab ca. 1470 auf 400 bis 500 erhöhten. Um 1500 waren dann Auflagen von 500 bis zu 1000 Exemplaren üblich; diese Marke blieb bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts typisch.Wittmann 27; Kapp 326–328; Reimer 33; Darnton 30, St Clair 21 f, bezeichnet diese Zahlen als typisch für ganz Europa. Vgl. auch Krieg 217–224, der aber eher auf die Ausnahmen hinweist. So sollen von der Legenda aurea in den letzten 30 Jahren des 15. Jahrhunderts mehr als 100 Auflagen mit jeweils mehr als 1000 Exemplaren, also einer Gesamtauflage von über 100\,000, gedruckt worden sein. Solange die Auflagen noch sehr klein waren, wurde ein Werk gedruckt und dann vom Drucker verkauft, der hierzu auch auf Jahrmärkte oder allgemeine Messen reiste.Absatz!–risiko Oft konnten sie auch nur eine Auflage drucken, verkauften diese dann, um genügend finanzielle Mittel für die nächste Produktion zu verdienen.

Jedoch teilte sich das Gewerbe bald auf in Drucker und den Verlagshandel, der schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts ein selbstständiges Geschäft bildete. Die Aufspaltung ging mit der Vergrößerung des Markts einher. Sobald die Nachfrage sich erhöhte, mussten die Drucker, Verkäufer anstellen, Filialen errichten oder Gesellschafter aufnehmen, da sie allein die Herstellung und den Vertrieb nicht bewältigen konnten. Es war der gleiche Vorgang wie in anderen Gewerben, jedoch mit dem Unterschied der bereits mechanisierten Herstellung.

Höhere Auflagen senken die StückkostenStuckkosten@Stückkosten und vermindern die Vertriebskosten. Jedoch mussten die Ausgaben vorfinanziert werden, und so war die Beteiligung von Geldgebern, die die Geschäftsmöglichkeiten erkannten, nur eine Frage der Zeit. Schon in den Siebzigern des 15. Jahrhunderts traten in Mailand und VenedigVenedig, damals die größten Handelsstädte in Europa, kurze Zeit später auch in Basel, Augsburg und Nürnberg große Druckereien und Verlagsgesellschaften ins Leben.

Der moderne Verleger des 15. Jahrhunderts beauftragte einen oder mehrere Drucker und lieferte nicht nur ein Buch nach dem andern, sondern mehrere zu gleicher Zeit.Kapp 288 f.; Dietz S.~6; Wittmann 31. Auch in England gingen die frühen Buchdrucker entweder selber auf Reisen oder gaben ihre Ware reisenden Buchhändlern; vgl. Mumby 34 f. Es gab aber weiterhin Verleger, die eine eigene Druckerei hatten und gelegentlich auch andere Druckereien beauftragten. Die beauftragte Druckerei war z. B. für einen bestimmten Zweck besser geeignet, weil sie einen Setzer hatte, der die Sprache des Buchs verstand, weil sie besser geeignete Schrifttypen oder Korrektoren oder eine günstigere Lage für die Auslieferung hatte.

Viele Verleger hatten an ihrem Wohnort auch einen Buchladen und verkauften dort eigene und fremde Verlagsartikel. Andere Verleger beschränkten sich auf eigene Produkte und verkauften ihre Werke an Buchführer. Die Buchführer hatten oft genauere Kenntnisse von den Interessen des Publikums und gaben gelegentlich einem Drucker einen Auftrag, welches Buch er für sie in welcher Auflage drucken sollte. In diesem Fall wurde der Drucker verlegt, da Herstellung und Vertrieb vollständig auf Gefahr und Rechnung des Buchführers geschah. Wenn ein Drucker vorrangig Auftragsarbeiten erledigte, aber gerade kein Auftrag vorhanden war, druckte er auf eigenes Risiko ein Buch, wurde also zum Verleger. Es gab keine strenge Aufteilung zwischen Druckern, Verlegern und Buchhändlern; man richtete sich nach den jeweiligen Umständen und individuellen Vorstellungen und Möglichkeiten der Unternehmer.Kapp 280 f., 303.

Allerdings blieben in der öffentlichen Anschauung und selbst in amtlichen Schriftstücken Verleger und Drucker noch eine Einheit.Auch im Englischen sind bis heute die Begriffe publisher und press nicht geschieden. Viele Universitätsverlage heißen University Press neben dem Namen der Universität. In den Büchern war oft nur der Drucker ausdrücklich genannt, während der Verleger, der den Druck finanzierte, dem Drucker und Autor den vereinbarten Lohn zahlte und sodann die Bücher auf eigene Rechnung verkaufte, nicht erschien. Arbeitsteilung!Buchhandel1569 unterteilt der Frankfurter Magistrat dann die auf der Messe vertretenen Gewerbe in Buch!–drucker

  1. Buchdrucker,
  2. Buchhändler,
  3. Verleger und
  4. Buchführer.1)

Die Buchhändler waren teilweise Drucker, Verlag!Sortimenter Groß- und Einzelhändler in einem und bemühten sich in der Regel, alle lieferbaren Titel, die zumindest einen gewissen Abgang versprachen (das Sortiment), vorrätig zu haben.

4.2.4.5 Vom regionalen zum überregionalen Handel

Kapp nennt zwei Ereignisse, die den Wandel vom regionalen zum überregionalen Buchhandel aufzeigen: die Errichtung der kaiserlichen Bücherkommission, der die Kontrolle der Zensur, Privilegien und Pflichtexemplare oblag, und die Entstehung des Meßkatalogs.Kapp S.~479. Verständlich wird dies, wenn man die Aufteilung Goldfriedrichs zu Rate zieht. Er unterscheidet die alte Zeit des Wanderverkehrs (1450–1564), die mittlere Zeit des Messe- und TauschhandelTauschhandels (1564–1764) und die neue Zeit des KonditionenhandelKonditionensystems (seit 1764).Goldfriedrich S.~10. Unter Tausch- oder ChangehandelBuchhandel!Changehandel wird die bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg praktizierte Form des Handels verstanden, bei dem die Händler untereinander ihre Bücher nach Bogenzahl austauschten. Allerdings gab es eine zentrale Anlaufstelle zum An- und Verkauf der Bücher und zur kleinteiligen Distribution in den verschiedenen Städten des Reichs: die halbjährliche Messe, zu der der Messe!–katalogMessekatalog mit einer möglichst vollständigen Auflistung der lieferbaren Bücher erschien. Die Zeit bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wird mit der Frankfurter Messe!FrankfurtMesse, dem Changehandel und dem ReichsbuchhandelReichsbuchhandel verbunden, weil zu dieser Zeit noch alle Buchhändler des Reiches am gegenseitigen Tausch der Bücher beteiligt waren. Nach dem Siebenjährigen Krieg sollte nach dem Willen der führenden Verleger in Messe!LeipzigLeipzig der NettohandelNettohandel folgen, der sich aber nicht durchsetzen konnte. Das Konditionensystem mit dem für den Einzelhandel wichtigen RemissionsrechtRemissionsrecht etablierte sich erst im 19. Jahrhundert. Novitäten in Deutschland (Messe) und England 1610–1770

Der erste Messekatalog erschien 1564. Ab 1570 wurden die Neuerscheinungen gesondert aufgeführt. Zuvor gab es nur Verlagskataloge, so dass die Kunden eher zufällig vom Erscheinen eines interessanten Artikels erfuhren. Waren sie einmal in Kenntnis gesetzt, mussten sie entweder bis zu einem halben Jahr (nächste Messe) warten oder erhebliche Kosten aufwenden, um das Gewünschte zu erhalten.Kirchhoff S.~26. Bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts war die Zahl der Bücher so groß, dass Versuche unternommen wurden, die gesamten Titel aufzulisten. 1545 wurden neben den deutschsprachigen Werken insgesamt rund 15\,000 lateinische, griechische und hebräische Bücher auf dem deutschen Markt gezählt. 1611 wurden rund 10\,000 deutschsprachige Titel erfasst.Wittmann S.~66. So lange Frankfurt noch der Hauptplatz des Messegeschäfts der Buchhändler war, druckten die Leipziger Buchhändler den Frankfurter Messekatalog nach und ergänzten ihn um die in Leipzig herausgekommenen Bücher. Dies war aber nur ein Bruchteil der tatsächlichen Produktion. Kamen beispielsweise im Jahrzehnt nach 1570 in etwa 500 neue Titel auf die Messen, erhöhte sich der Jahresdurchschnitt im letzten Jahrzehnt vor Beginn des Dreißigjährigen Kriegs auf das Dreifache. 1632–1641 reduzierte sich die Gesamtzahl der Messeneuheiten im Schnitt auf 660 Bücher, zwischen 1654 und 1694 erschienen 826 und zwischen 1695 und 1743 im Jahresschnitt 1127 neue Titel (Abb. [fig:Novitaeten-England]).Goldfriedrich S.~179–181; Engelsing S.~82. Die Ermittlung der britischen Daten ist kompliziert, Novitäten!Englandda die unterschiedlichen Sammlungen wie der Short Title CatalogueShort Title Catalogue (A. W. Pollard, G. R. Redgrave, W. A. Jackson, F. S. Ferguson und K. F. Pantzer), die Wing-Sammlung von Donald Wing oder der English Short Title Catalogue (ESTC) alle gedruckten Objekte aufzeigen; Collinson et al./Barnard/Bell S.~797–805. So werden im ESTC für 1800 über 10\,000 Titel angezeigt. Davon waren aber maximal 10\,\% Bücher. Es wäre auch sehr erstaunlich, wenn während des Bürgerkriegs in England in einem Jahrzehnt (1641–1650) mit 18\,247 gezählten Druckwerken mehr Bücher erschienen wären, als von 1661 bis 1670 mit nur 9624. Auf die Messe kamen nicht alle neuen Titel, sondern nur diejenigen, die überregionalen Absatz versprachen. Die gewöhnlich überall erhältlichen oder nur regional absetzbaren Titel wie Kalender, Gesangs- und Andachtsbücher, die im ganzen Land in vergleichsweise hohen Stückzahlen gedruckt wurden, Ritterromane, Grillen-, Narren- oder Liebesbücher oder lokale Kleinschriften wie Verordnungen, Jubelschriften, Leichenpredigten, akademische Schriften für die Studenten, Flugschriften über Wunder, Fabelwesen etc. waren selten auf der Messe vertreten.Koppitz S.~22.

Juristische und medizinische Fachbücher waren in der Zeit von 1625 bis 1750 mit ca. vierzehn Prozent, Geschichte, Geographie, Politik und Musik zusammen mit ca. zwanzig Prozent vertreten. Der Anteil von rund einem Drittel für diese Wissenschaften blieb bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in etwa gleich.Wittmann S.~85. Andere Wissenschaften wie Philosophie, Handelswissenschaft, Naturwissenschaften hatten zwischen 1625 und 1735 einen Anteil von 20 Prozent, der sich bis 1800 auf nahezu 40\.\% steigerte.Wittmann S.~85. Die in Tabelle [tab:Novitaeten-Gattungen]Daten aus Anonym S.~575, Stichwort: Buchhandel. vorgenommene Aufteilung spiegelt noch die klassischen vier Wissenschaften Theologie, Philosophie, Recht und Medizin wieder, nach der beispielsweise Mathematik, Wirtschaft oder die Kriegswissenschaften noch der Philosophie zugerechnet wurden. Die Tabellen [tab:Novitaeten-Gattungen] und [tab:Novitaeten-1570-1756] Novitäten!1610–1770Novitäten!Gattungenzeigen einerseits die Folgen des Dreißigjährigen Kriegs, andererseits den Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzenden Wandel bei der gelesenen Literatur. Dieser Wandel war begleitet vom Niedergang des Messeplatzes Frankfurt und dem Aufstieg Leipzigs, das nach dem Siebenjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg das Zentrum des deutschen Buchhandels wurde.Novitäten im Jahresschnitt 1570–1756

Fortsetzung folgt …


1)
Kapp S.~281 f.

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