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~~CLOSETOC~~

4 Deutschland: Staatenwettbewerb

4.2 Das Monopol und der Buchverlag

4.2.6 Buchhandel ist unzünftig

Klostermann übertreibt, wenn er sagt, dass »es zur Zeit der Reichspolizeiordnung von 1577 und des Reichsschlusses von 1731 ein nicht zünftiges Gewerbe in den Städten überhaupt nicht mehr gab«.1) Es lässt sich zwar keine einheitliche Praxis feststellen, aber bis auf den Klerus, den feudalistisch geprägten Ackerbau und die Forstwirtschaft waren praktisch alle Berufe, auch Fischer, Jäger, Hirten, Bettler, Bader, Winzer, seltener künstlerische Berufe wie Maler und Bildhauer, in Zünften organisiert. Neuwaren liefernde Massengewerbe waren praktisch überall zünftig. In Frankreich und England waren selbstverständlich auch die Drucker und Verleger in die Gilden- und Zunftorganisation eingebunden.

In Deutschland hingegen hatten die Buchhändler keine Möglichkeit, eine entsprechende Organisation zu gründen. Der Buchhandel blieb das wohl einzige Gewerbe, das neue Produkte herstellte und trotzdem nicht in Zünften organisiert oder mit Produktionsprivilegien ausgestattet war. Bereits die Tatsache, dass der Handel untereinander, die Distribution im Reich, auf den Messen in Frankfurt und Leipzig stattfand, zeigt: Ein wirksames Gildensystem für den Buchhandel setzte entweder eine nationale Handelspolitik des deutschen Kaisers für das gesamte Reich oder zwischenstaatliche Vereinbarungen zwischen einer Vielzahl von unterschiedlichen Landeshoheiten voraus.2)

Der Buchhandel zeichnete sich dadurch aus, dass er sowohl unter das zünftige Druckhandwerk, als auch unter den Verlagshandel eingeordnet werden kann. Typische Zeichen für das jedermann offenstehende, unzünftige Gewerbe zeigten sich nach dem Dreißigjährigen Krieg: 1668 beschwerten sich die auf der Frankfurter Buchmesse vertretenen Buchhändler, dass »etliche Buchdrucker, Kupferstecher, Kunstführer, Buchbinder und andere, ja gar fremde Handwerksgesellen außer allen diesen Professionen, sich einmischten und Buchhandel trieben.« Es sei sogar den Juden nachgesehen worden, wenn diese mit Büchern handelten, die sie von ihren Schuldnern in Zahlung genommen hätten. Die kleinen Buchdrucker, Kupferstecher und Kunstführer hätten ihr Handwerk kaum gelernt, würden aber mit ihrer »Sudelei« den gesamten Buchhandel in Verruf bringen.3) Diese Äußerung fiel in einem Zeitraum, in dem nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder Ordnung in das Gewerbe gebracht werden sollte und eine zunftähnliche Verfassung für den Buchhandel diskutiert wurde.

Ausgangspunkt für eine reichsweite Zunft waren die ab 1655 erkennbaren Planungen in Wien, für die Frankfurter Messe eine Büchertaxe, einen obrigkeitlich fixierten Einheitspreis für Bücher nach bestimmten Kriterien wie Schriftart und Papier, einzurichten. Auch in Sachsen, dem zweiten überregionalen Messeplatz für Bücher, gab es entsprechende Bestrebungen, indem eine bereits existierende Preistaxe aus dem Jahr 1623 wiederbelebt werden sollte. Diese wurde aber weder im Dreißigjährigen Krieg noch später in die Praxis umgesetzt und 1668 endgültig zu den Akten gelegt.4) Da die Verleger ihre Artikel zu wucherischen Preisen verkauften, müsse der Gewinnsucht und Willkür ein Ende gesetzt werden, indem man hoheitlich die Preise über eine Büchertaxe fixiert, lautete die Begründung des Kaisers.5) Preistaxen waren in vielen Bereichen anzutreffen – nicht so erstaunlich, da die Zünfte berechtigt waren, ihren Mitgliedern Verkaufspreise vorzuschreiben. Das Prinzip zur Ausschaltung des Preiswettbewerbs gab es schon im Mittelalter, war aber auch im 17. Jahrhundert verbreitet: Die Zünfte schrieben eine Minimaltaxe, die Stadträte eine Maximaltaxe vor.6) Im 17. Jahrhundert waren diese Taxen – von den Territorialhoheiten erlassen – weit verbreitet. Der Wettbewerb basierte mangels freier Preisgestaltungsmöglichkeit folglich oft nicht auf dem Bestreben, den günstigsten Preis anzubieten, sondern die besten Leistungen.7)

Ob der Wucher der Buchhändler den Tatsachen entsprochen hat, lässt sich nur schwer feststellen. Aber es sprechen einige Argumente dagegen, an erster Stelle die Tatsache, dass die deutschen Verleger nicht in der Lage waren, hochwertige Bücher herzustellen. Im Dreißigjährigen Krieg litt die Qualität der Drucke erheblich. Am Papier wurde gespart, die Seiten enger bedruckt, die Ränder kleiner. Es wurde braunes oder gar schwärzliches, löschblattähnliches Druckpapier verwendet, das kein sauberes Druckbild mehr zeigte.8) Die führende Position im europäischen Buchhandel war an Holland, Frankreich und England abgegeben worden. Auf der Frankfurter Messe waren die holländischen Unternehmen tonangebend; die guten Bücher kamen aus den Niederlanden nach Deutschland.9) »Die Verlegerfamilie Elzevir beherrschte den Buchhandel Europas, und die Elzevirdrucke, Duodezausgaben der Bibel, der Klassiker und der hervorragenden Zeitgenossen, waren wegen ihrer erlesenen Schönheit und Korrektheit in jeder Bibliothek zu finden.«10)

Hochwertiges Papier und sorgfältige Arbeit waren kein Geheimnis, und technisch entscheidende Fortschritte, die die Produktion in Holland deutlich günstiger gemacht hätten, gab es nicht. Der Umstand, dass die deutschen Buchdrucker nur liederliche Ware lieferten oder die Buchhändler solche in Auftrag gaben, obwohl sie jedes Jahr zwei Mal auf der Messe vorgeführt bekamen, dass auch hochwertige Bücher aus Holland sich an den Mann bringen ließen, ja, sie selbst diese ständig erworben hatten, lag vermutlich an den ärmlichen Verhältnissen, in denen sich die gesamte deutsche Wirtschaft, das Buchhandelsgewerbe eingeschlossen, nach dem Krieg befand. Deutschland, im 16. Jahrhundert noch führend im europäischen Kunstgewerbe, hatte seine Vorrangstellung vollkommen eingebüßt. Es fehlte am Kapital, eine Offizin mit technisch hochwertigem Gerät, neuen Typen etc. auszustatten, am Kapital, hochwertiges Papier zu finanzieren, vielleicht auch am Willen.11) Der qualitative Niedergang war eine die gesamte gewerbliche Produktion des alten Reichs betreffende Entwicklung, keine auf das Druckgewerbe beschränkte.

Die Festlegung des Preises über eine Büchertaxe war für die Buchhändler natürlich eine Gefahr, da die unterschiedlichen Kosten wie Papier, Autorenhonorar, Auflage, Kosten der Privilegien, Druckpreise, Zölle und Frachten, also die gesamte wirtschaftliche Grundlage nicht oder – bei Festlegung der Gewinnspanne – nur unzureichend berücksichtigt werden konnten. Einen weiteren, entscheidenden Punkt brachten die Buchhändler in der Diskussion über die kursächsische Büchertaxe vor: Eine Büchertaxe sei nur hinnehmbar, wenn sie allgemein gelten würde. Sie käme nur in Betracht, wenn dies unter Zuziehung des für die Frankfurter Messe zuständigen Frankfurter Rats und der Buchhändler, die die Leipziger Messe nicht besuchten, geschähe. Vor allem müssten auch die ausländischen Buchführer, welche aus fremden Königreichen und Herrschaften ihre Waren regelmäßig nach Frankfurt brächten, ihre Bücher zu einem billigen und leidlichen Preis verkaufen. »Denn wo solches nicht geschieht, So ist es nicht möglichen, daß wir die bücher wohlfeiler geben können, alß wir selbst von denen Ausländischen buchführern erhandeln und annehmen müßen, daß uns das ein oder das andere exemplar liegen bleibet, und zu maculatur wird.«12)

Parallel zur Büchertaxe wurde eine zunftähnliche Verfassung für den Buchhandel diskutiert. 1669 wurde von Alexander Hartung, Teilhaber der Wiener Buchhandlung Johann Blaeu und Alexander Hartung, unter dem Titel »Neue Ordnung und Artikel für Buchhändler, Buchdrucker und Buchbinder« ein Vorschlag unterbreitet, der eine zunfttypische Marktaufteilung zum Gegenstand hatte. Der Vorschlag Hartungs wurde 1669 unter den Buchhändlern diskutiert. Die Mehrzahl der auf der Messe vertretenen Buchhändler reagierte reserviert auf die Reformvorschläge. Am 2. September 1669 legten sie ein von sämtlichen Frankfurter Buchhändlern, mit Ausnahme von zwei, unterzeichnetes Übereinkommen als Vereinigte Punkte vor, das einige Änderungen zu Hartungs Vorschlag enthielt.13) Der Buchhandel sollte nach dem Vorschlag praktisch ausschließlich den Buchhändlern vorbehalten sein, wobei sie ihr (erhofftes) Ausschließlichkeitsrecht zum Handel mit Büchern noch strenger ausgestalteten als in Hartungs Vorschlag:

  • Buchdrucker sollten entweder Auftragsarbeiten ausführen oder, wenn sie auf eigene Initiative tätig wurden, die Bücher einzeln oder ballenweise zu billigen Preisen ausschließlich an die Buchhändler verkaufen.
  • Das Verstechen, also die Beteiligung am Tauschhandel auf der Messe, war ihnen verboten.
  • Außerdem sollte die Möglichkeit von Bücherauktionen beschränkt werden.14)

Die Vereinigten Punkte sahen ein Handelsmonopol vor, bei dem außer den Buchbindern nur die Buchhändler an den Endkunden verkaufen durften. Den Buchbindern sollte der Verkauf von ausschließlich bei Buchhändlern bezogenen Waren an den Endkunden wohl gestattet werden, da andernfalls das Distributionssystem gestört und der Handel erheblich verteuert worden wäre. Die Buchhändler äußerten in der Diskussion zu dieser Frage, man würde auf Reisen oft in zehn und mehr Städte nacheinander kommen, ohne auf einen Buchhändler zu treffen, sondern nur auf Buchdrucker oder Buchbinder, die dann erst mit großen Kosten die Bücher durch die dritte oder vierte Hand müssten kommen lassen.15) Es ist das zunfttypische Ausschließen außenstehender Wettbewerber. Auch das nächste Moment der Zunft, die Möglichkeit zur Begrenzung der Zahl der Zunftgenossen, findet sich in Hartungs Vorschlag und den Vereinigten Punkten: Mindestens fünf Jahre Lehrzeit, Ausschluss der Juden, Regelungen zur Vererbung, Fortführung des Geschäfts bei fehlendem männlichen Nachwuchs durch Witwen, Töchter und zur Wiederverheiratung.16)

Die Vereinigten Punkte, auf die die Buchhändler in Frankfurt sich mit einigen Mühen einigen konnten, fanden zwar auch die Zustimmung des Kaisers. Allerdings wollte der Kaiser diese Regelung dem Reichstag nur gemeinsam mit der Büchertaxe vorlegen. Da die Buchhändler und auch der Frankfurter Rat die kaiserliche Taxe mit deutlichen Worten ablehnten und sich weiteren Diskussionen verweigerten, versandeten die Büchertaxe und Vereinigten Punkte 1672 ohne konkretes Ergebnis.17) Es hieß in den Vereinigten Punkten: »Die Tax der Bücher betreffend, weil von vielen Buchhändlern schon vor etlichen Jahren, neben allhiesigem Löbl. Magistrat ist gründlich deduciret worden, daß ein Tax zu machen nicht practicerlich, der Freyheit der Meß nachtheilig, alß läßt mans nochmals darbey bewenden.«

Zu Korporationen oder richtigen Innungen kam es jedenfalls im deutschen Buchhandel nicht, auch wenn in einigen Städten die Buchhändler in Zünfte etwa mit den Buchdruckern oder den Krämern eingeordnet waren. Selbst Drucker waren selten in Zünften organisiert, sondern eher in freiwilligen Buchdruckergesellschaften.18)

Es gab zwar zahlreiche kleine Drucker, die von der territorialen, geistlichen oder universitären Obrigkeit mit Privilegien oder sogar Ausschließlichkeitsrechten ausgestattet als Hof-, Kanzlei-, Universitäts- oder Ratsbuchdrucker tätig waren. Ihre Haupteinnahmequellen waren die Brotartikel wie Gesangbücher, Kalender, Schulbücher, Ratgeber, Predigten, Erbauungsbücher, Verordnungen, Flugschriften, akademische Schriften etc., die regelmäßig gedruckt wurden und bei denen gelegentlich die Preise vorgeschrieben waren. Mit Ausnahme der akademischen Schriften waren diese Werke für den lokalen Markt gedacht. Sie waren gelegentlich Mitglieder einer Zunft, die theoretisch auch den typischen Zunftregeln unterlagen wie Verkauf nur von Selbstgedrucktem, also Verbot des Sortimentshandels mit fremden Verlag.19) Auf die Vereinigten Punkte hin, »bilden auch die Frankfurter eine innungsartige Vereinigung, eine Art Lokalverein, der längere Zeit bestanden haben muß, wie lange läßt sich schwerlich ermitteln.«20) Ein näherer Zusammenhang mit besonderen Rechten im Hinblick auf das Gedruckte ist nicht erkennbar. Es handelt sich um die typische Ordnung für Drucker wie sie auch für andere Gewerbe eingerichtet war.

Die Verabschiedung der Vereinigten Punkte durch den Reichstag hätte zu einem Novum geführt. In Deutschland gab es keine reichsweiten Regelungen für die Herstellung bestimmter Güter. Die Zünfte waren den vielen Territorialhoheiten unterstellt, nicht dem Reich. Reichsweite Regelungen für die Massenproduktion, wie sie Colbert für ganz Frankreich etabliert hatte, waren in Deutschland, wie Bruder es ausdrückte, »ein Ding der Unmöglichkeit«.21)

Fortsetzung folgt …


1)
Klostermann S.~12 f.
2)
Durch den Reichsschluss 1731 wurde so gut wie jeder zwischenstaatliche Verkehr der Zünfte abgeschnitten; vgl. Bruder S.~230. Die Verbindungen der Zünfte unterschiedlicher Staaten wurden gekappt und nur noch den Territorialherren unterstellt.
3)
Kirchhoff S.~173; Kapp S.~688.
4)
vgl. Kapp S.~681–687.
5)
Kapp S.~675 f.. Zur Büchertaxordnung Gramlich S.~62–64.
6)
Kulischer S.~196 f.; Sombart S.~201 f.; Bruder S.~246; Höffner S.~19. Die Preisbildung unter Wettbewerbsbedingungen, die marktwirtschaftliche Konkurrenz, war auch im 18. Jahrhundert angesichts der überall anzutreffenden Zünfte und Gewerbemonopole nicht selbstverständlich. Die frühesten Maximaltaxen betrafen Lebensmittel, bei denen entweder unmittelbar der Preis oder der höchstzulässige Gewinnsatz bestimmt wurde.
7)
Sombart S.~892.
8)
Goldfriedrich S.~20.
9)
Kapp S.~497; Goldfriedrich S.~326.
10)
Friedell S.~28 f. (Bd. 2). Der damalige Elsevierverlag bestand nur bis 1713. Der heutzutage existierende Verlag Elsevier wurde erst 1880 gegründet, wobei der erste Inhaber den Namen Elsevier und die Marke des alten Verlags für sein neues Unternehmen übernahm.
11)
In den Niederlanden wie auch in England waren zu Ende des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert erhebliche Kapitalvermögen vorhanden. Schon zu Ausgang des 17. Jahrhunderts muss in Holland anlagesuchendes Kapital im Überfluss vorhanden gewesen sein, so dass Amsterdam 1680 den Zinsfuß für Anleihen drei Prozent herabsetzte und auch sonst das Geld gegen einfache Obligationen zu drei Prozent ausgeliehen wurde; vgl. Kulischer S.~403 f.; Braudel S.~422.
12)
Zitat nach Kapp S.~686.
13)
Kapp S.~689–691, 701–704.
14)
Die Bücherauktionen, die ihren Ursprung in Holland hatten, um die Lagerbestände von den schwer verkäuflichen Büchern zu befreien, kamen nach dem Dreißigjährigen Krieg in Deutschland auf. Ludwig Elsevier hatte schon 1609 damit begonnen, ganze Bibliotheken aufzukaufen und die Bücher dann in öffentlichen Auktionen zu verkaufen, was natürlich zu deutlich geringeren Preisen führte; vgl. Kapp S.~512–514.
15)
Kapp S.~696 f.
16)
Kapp S.~690, 702.
17)
Kapp S.~693–704, 714; Gieseke 101.
18)
Gramlich S.~23–26; a. A. Vogel, Sp 9, Fn 3, der allerdings weder zwischen Buchdruck und -handel unterscheidet, noch einen konkreten zeitlichen Rahmen angibt.
19)
Wittmann S.~88 f.
20)
Kapp S.~704.
21)
Bruder S.~225.

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